Wer ein altes Haus gekauft oder geerbt hat, steht vor einer schwierigen Entscheidung: Lohnt sich eine Sanierung oder ist die Immobilie ein Fall für die Abrissbirne?
Auch Linda und Ralf Schmidt haben sich diese Frage gestellt. Ihr Haus im rheinlandpfälzischen Knittelsheim wurde im Jahr 1955 von Ralfs Großvater selbst erbaut. Als Schreiner kannte er sich aus und hat offenbar solide Arbeit geleistet.
"Die Bausubstanz ist gut,daher kam ein Abriss für uns nicht infrage", sagt Ralf Schmidt. Allerdings müssen die Dämmung und das Heizungssystem komplett erneuert werden. Außerdem soll eine Wand versetzt werden. Das Dach war eigentlich in Ordnung, die Balken entsprachen aber nicht mehr der DIN-Norm. Daher muss es nun ebenfalls vollständig ersetzt werden.
Wie damals der Großvater, legen die Schmidts selbst Hand an. Im November 2020 beginnen sie mit den Abbrucharbeiten.
Tapeten, Holzvertäfelung, Innenwände, die alte Dämmung aus Styropor und Strohmatten, Glaswolle im Dach – alles muss raus.
Die Einfahrt zum Haus ist zugeparkt mit drei pinken Containern. Zwei Container für Bauschutt, von denen der eine bereits mit Betonsteinen und Mörtel gut gefüllt ist, dahinter ein Container für den Restmüll. An der Hauswand wächst ein Haufen mit alten Heizungsrohren und sonstigen Metallabfällen, der regelmäßig vom Schrotthändler vor Ort mitgenommen wird. Zwei Container mit Holz wurden bereits abgeholt. Bis die Sanierung beendet ist, werden wohl noch einige dazukommen.
231 Millionen Tonnen Abfälle
Tatsächlich machen Bau- und Abbruchabfälle mehr als die Hälfte des Abfallaufkommens in Deutschland aus – rund 231 Millionen Tonnen waren es laut dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2019, also 2,7 Tonnen pro Kopf. Die gute Nachricht: Ein Großteil dieses Materials – 87 Prozent – wird wiederverwertet.
Damit das funktioniert, ist es wichtig, die Abfälle sauber zu trennen. Im Zweifelsfall hilft hier auch der beauftragte Containerdienst gerne weiter. Die pinken Container vor Linda und Ralf Schmidts Haus gehören Michael Kuhn, der mit seinem Unternehmen im Nachbarort Bellheim ansässig ist. Sein Hauptgeschäft macht er mit Gewerbekunden, aber auch jeder private Bauherr in der Südpfalz kann seine Dienste in Anspruch nehmen. Rund 200 Container hat er derzeit im Einsatz. Michael Kuhn erklärt:
Für die Kunden lohnt es sich allein schon wegen der Kosten, die Mülltrennung ernst zu nehmen.
Michael Kuhn selbst hat den Hof seines Containerdienstes mit Gabionen aus Bauschutt umzäunt. Das ist ökologischer und günstiger, als Natursteine von weit her heranzukarren, außerdem sieht es durch den Materialmix interessant aus, findet er.
Auch Altholz kann – sofern es nicht behandelt oder gestrichen ist – zu neuen Spanplatten für die Möbelindustrie verarbeitet werden und ist daher günstig zu entsorgen. Metallschrott ist sogar so wertvoll, dass die Abgabe bei ausreichenden Mengen vergütet wird.
Die nachhaltigste Variante ist natürlich, das alte Baumaterial direkt selbst wiederzuverwenden. Linda und Ralf Schmidt haben beispielsweise einen Teil der Holzvertäfelung und Balken aufgehoben und daraus einen Gartenunterstand gebaut. Außerdem können sie das Holz noch zum Heizen verwenden.
Abfallarten
Bodenaushub
besteht in der Regel aus natürlichem Material wie Erde, Sand und Steinen und wird für die Verfüllung von Kiesgruben oder Steinbrüchen sowie im Deponiebau verwendet.
Bauschutt
sind alle mineralischen Abfälle und Baumaterialien wie zum Beispiel Beton, Ziegelsteine, Natursteine, Fliesen, Badkeramik oder Dachziegel. Bauschutt wird zum größten Teil recycelt und vor allem im Straßenbau wiederverwendet.
Holz
Unbehandeltes Abbruchholz kann separat gesammelt werden und eignet sich zur Herstellung neuer Spanplatten. Ist das Holz beschichtet oder gestrichen, wird es in der Regel als Brennstoff in Kraftwerken verwertet. Mit Holzschutzmitteln imprägniertes oder gestrichenes Altholz wird als gefährlicher Abfall eingestuft und ist Sondermüll.
Leichtbaustoffe und Gips
Leichtbaustoffe wie Porenbeton (Ytong), Bimsstein und Gips, die hauptsächlich im Innenausbau verwendet werden, werden separat gesammelt und können bei sortenreiner Trennung als Rohstoff für die Herstellung von Gipserzeugnissen wiederverwertet werden.
Baumischabfall
Alle Abfälle, die sich nicht sortenrein trennen lassen, sind Baumischabfälle, z. B. Tapeten, Fenster, Holzreste, Dämmmaterialien, Rigipsplatten, Rohre, Kabel und Verpackungen. Sie können nicht aufbereitet werden und landen in der Müllverbrennung.
Metallabfall
wie z. B. Rohre, Kabel, Heizkörper, Armaturen, Stahlträger oder Regenrinnen kann bei sortenreiner Trennung in der Regel vollständig und ohne Qualitätsverlust eingeschmolzen und zu neuen Produkten verarbeitet werden.
Zum Glück kein Asbest
Neben jeder Menge Bauschutt, Holz, Metallschrott und Restmüll fallen bei vielen Bau- und Renovierungsprojekten auch gefährliche Abfälle an – besonders gefürchtet: Asbest. In alten Häusern, die vor dem Verbot im Jahr 1993 gebaut wurden, ist Asbest in Fassaden- und Dachplatten, Bodenbelägen oder Dichtungen keine Seltenheit. Auch die Schmidts waren sich zunächst nicht ganz sicher, ob die grau-grünliche Färbung am Boden eventuell auf Asbest hindeutet.
Mithilfe eines Asbest-Testkits entnahmen sie daher eine Probe und schickten sie an ein spezialisiertes Prüflabor. Nach ein paar Tagen kam glücklicherweise die Entwarnung.
Eine weitere Herausforderung bei ihrem Sanierungsprojekt war die alte Glaswolle, die zur Dämmung im Dach verwendet wurde. Auch sie gilt, selbst wenn sie keinen Asbest enthält, als Sondermüll und muss separat entsorgt werden. Um beim Entfernen nichts einzuatmen und jeglichen Hautkontakt zu vermeiden, arbeiteten die Schmidts daher in Ganzkörperschutzanzügen, Atemschutzmasken und Schutzbrillen.
Ach so ...
Glaswolle wird zwar auch in modernen Gebäuden noch häufig zur Dämmung verwendet. Allerdings ist sie heutzutage so verarbeitet, dass sie nicht mehr als gesundheitsschädlich gilt.
Zudem gibt es mittlerweile Produkte, die zu 100 Prozent recyclebar sind. Lies dazu „Der Weg der Glaswolle“.
Der Weg des Bauschutts
Insgesamt haben die Schmidts in sechs Monaten neun Container mit Bauschutt, Holz und Restmüll sowie fünf Big Bags mit Glaswolle befüllt.
Der Abriss des Dachs und die Versetzung der Wand stehen noch aus – hier dürfte vor allem Holz und Bauschutt anfallen. Doch was passiert nun genau mit ihrem Abbruchabfall?
Immer wenn Michael Kuhn einen vollen Container von der Baustelle abholt, parkt er ihn zunächst auf seinem Hof. Restmüll-Container müssen dort von Hand sortiert werden.
„Oft sind hier noch recyclebare Materialien wie Papier, Folie oder Holz enthalten“, so Kuhn. Bauschutt- und Holz-Container dagegen werden normalerweise nur kurz abgestellt, auf Fehlwürfe kontrolliert und fahren dann sofort weiter zum Verwerter – der Bauschutt beispielsweise in die Baustoff-Recycling-Anlage im nahegelegenen Germersheim. Dort werden die Container zunächst gewogen, denn für das Abladen von Bauschutt fällt auch für den Containerdienst eine Gebühr an.
Schließlich landen die Steine und Ziegel auf einem der riesigen Bauschuttberge. Für die Aufbereitung wird der Rohstoff zunächst separiert sowie vorzerkleinert und dann in einer Brechanlage zermahlen.
Metall und andere Fremdkörper werden dabei so weit wie möglich aussortiert. Der so entstandene Recycling-Schotter wird meistens im Straßenbau, aber auch für den Bau von Fundamenten und Mauern verwendet.
Nach Angaben des Bundesverbands Baustoffe, Steine und Erden decken Recycling-Baustoffe rund zwölf Prozent des Bedarfs an Gesteinskörnungen.
Recycling-Boom in Europa?
Immer häufiger gibt es auch Bemühungen, den aufbereiteten Bauschutt in der Betonherstellung einzusetzen, sodass daraus neue Häuser entstehen können. In diesem Fall wäre der Kreislauf perfekt.
In der Schweiz deckt Recyclingbeton bereits rund 15 Prozent des Betonbedarfs. In Deutschland und vielen anderen EU-Staaten dagegen ist Recyclingbeton bisher wenig verbreitet und genießt keinen guten Ruf. Das könnte sich künftig ändern.
Die Europäische Kommission hat die Bauwirtschaft als einen der Schlüsselsektoren auf dem Weg zu einer kohlenstoffneutralen, ökologisch nachhaltigen und schadstofffreien Kreislaufwirtschaft identifiziert. Zielvorgaben für die stoffliche Verwertung von Bau- und Abbruchabfällen sowie festgelegte Recyklatanteile für bestimmte Bauprodukte sollen dazu beitragen, die EU-Klimaziele bis 2050 zu erreichen.
Bis dahin muss jedoch noch einiges passieren. Über alle EU-Staaten hinweg wird die Recyclingquote für Bauschutt auf nur 40 Prozent geschätzt. Der Verband der Europäischen Bauindustrie weist darauf hin, dass ein ausreichend dichtes Netz an Wiederaufbereitungsanlagen nicht in allen Mitgliedsstaaten existiert.
Die Berater von Roland Berger wittern hier bereits ein riesiges Geschäft und prognostizieren ein Wachstumspotenzial für zirkuläre Geschäftsmodelle in der Bauwirtschaft in Europa von 33 Prozent pro Jahr auf über 240 Milliarden Euro bis 2025. Davon soll ein Großteil auf die Herstellung von erneuerbaren und recycelten Baumaterialien entfallen.