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Während seiner ersten Theoriephase im Oktober 2014 hat es plötzlich angefangen: Marcel Milloth, damals Dualstudent der BWL und bei HORNBACH, sitzt im Hörsaal seiner Hochschule, während der Dozent einige Sätze an der Tafel notiert. „Der schreibt aber undeutlich“, denkt sich der junge Mann zunächst. Doch außer ihm scheint das niemandem aufzufallen.

Kein leises Räuspern oder Augenrollen. Keine Zwischenmeldung. Nicht der kleinste Hinweis an den Dozenten, er möge doch etwas leserlicher schreiben. Milloth merkt bald: Er scheint der Einzige im Raum zu sein, der das Geschriebene nicht lesen kann – und nur wenige Tage später erkennt er nicht mehr, was auf dem vor ihm liegenden Blatt geschrieben steht. Plötzlich ist klar: Er verliert seine Sehkraft. Schritt für Schritt – und innerhalb kürzester Zeit.

Marcel Milloth

Eine schwierige Zeit

Im März 2014, gut ein halbes Jahr zuvor, meisterte der junge Mann sein Abitur am Edenkobener Gymnasium noch mit Bravour. Und das, obwohl er während der Vorbereitungsphase aufgrund eines Unfalls einige Operationen über sich ergehen lassen musste. Hinzu kam: Sein Vater war im Dezember 2013 verstorben.

„Die Trauer über den Tod meines Vaters zog sich. Ich hatte das Abi in der Tasche, mich aber noch um nichts gekümmert. Da hatte ich eigentlich gedacht, ‚das wird nichts mehr dieses Jahr“, erinnert sich Milloth im Februar 2018.

Wir sitzen auf Barhockern im Aufenthaltsraum in Bornheim. Es war nicht ganz leicht, den jungen Mann zu erreichen, doch am Ende stimmte er einem Gespräch für das HORNBACH Nachhaltigkeitsmagazin zu. Ein schmaler, junger Mann mit braunem Haar und verlegenem Lächeln. „Das war wirklich eine schwierige Zeit“, sagt er sehr ruhig und sachlich. Es fällt ihm nicht schwer seine Geschichte zu erzählen.

Alles schien ins Lot zu kommen

In dieser schwierigen Zeit erinnerte er sich an die Berufsvorbereitungstage in der Schule und vor allem an einen HORNBACH-Mitarbeiter, der damals das Duale Studium vorstellte. Kurz gesucht: Er hatte sie noch – die Visitenkarte. Bald darauf, am 1. September 2014, begann Milloth schließlich ein vierwöchiges Praktikum im Bornheimer Markt und kurz darauf sein Duales Studium als Bachelor of Arts Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Handel. Alles schien wieder ins Lot zu kommen – bis zu dem Tag, als seine Sehkraft plötzlich schwindet. Erste Anlaufstelle ist der eigene Augenarzt, der jedoch nur feststellen kann, dass das Auge gesund aussieht. Zweite Anlaufstelle ist die Uniklinik Mannheim, wo er drei Wochen verbringt. „Vom MRT, um einen Tumor auszuschließen, bis hin zum Nervenwasser ziehen, habe ich jede erdenkliche Untersuchung mitgemacht – alles ohne Befund“, erzählt Marcel. Seine Sehkraft liegt zu diesem Zeitpunkt nur noch bei zwei Prozent. Er ist also nahezu erblindet.

Ein kaum erforschter Gendefekt

Die Suche nach Antworten führt den jungen Mann weiter an die Uniklinik Tübingen. Aber auch hier ist schnell klar, dass alle Untersuchungen befundlos sind. „Zwei letzte Möglichkeiten haben sie mir eingeräumt. Entweder käme mein Augenleiden von der Psyche oder aber es wäre ein sehr seltener Gendefekt“, sagt Marcel.

Ein Gentest wird in Auftrag gegeben. Auf das Ergebnis warten Milloth und seine Familie zehn Wochen. „In der Zwischenzeit habe ich vorsichtshalber auch einen Psychologen aufgesucht. Aber der hat mich wieder heimgeschickt“, sagt er. Nach zehn Wochen stand der Befund fest: Lebersche Hereditäre Optikusneuropathie, kurz LHON.

LHON ist ein sehr seltener Gendefekt und bis heute kaum erforscht. Eine Erkrankung beginnt meist auf einem Auge mit einer sogenannten „akuten schmerzlosen Herabsetzung der Sehschärfe mit zentralem Gesichtsfeldausfall“, wobei in den meisten Fällen binnen weniger Wochen oder Monaten auch das zweite Auge befallen wird. Was man mittlerweile weiß: Es kann nur von Frauen weitervererbt werden, bricht aber meistens bei Männern zwischen 19 und 35 Jahren aus. Nicht jeder, der diesen Gendefekt in sich trägt, erkrankt auch daran. Über die Risikofaktoren gibt es bis heute keine eindeutigen Erkenntnisse, aber psychischer Stress – wie ihn Milloth durch den Tod seines Vaters erlebt hat – könnte ein Grund sein. „Es mag komisch klingen, aber als der Befund kam, war ich fast erleichtert. Endlich war klar, was mir fehlt“, sagt Marcel heute.

Langsame Erfolge – aber stetig

Eigene Recherchen führten ihn und seine Mutter nach München. Auf dem Gelände der Uniklinik befindet sich das Friedrich-Baur-Institut – eines von drei internationalen Wissenszentren zur Erforschung des LHON-Gendefekts. Bereits bei seinem ersten Besuch wird klar, dass er als Teilnehmer einer neuen Medikamentenstudie in Frage kommt. „Die Studie war nur bei gut 50 Prozent der Teilnehmer erfolgreich. Und auch in dieser Patientengruppe ist es sehr unterschiedlich wie gut und wie lange die Medikamente helfen“, erzählt Milloth. Diese Medikamente nimmt der heute 22-Jährige jetzt seit drei Jahren – seine Erfolge sind langsam, aber stetig. Seine Sehstärke liegt mittlerweile wieder bei guten acht Prozent. „An den Rändern der Pupille sehe ich besser, als in der Mitte. Und auch Farben sind kein Problem – abgesehen von rot und blau, die verschwimmen ein bisschen“, erklärt Milloth.

Marcel Milloth

Unterstützung durch HORNBACH

Die Krankheit ist ein Teil von Marcels Alltag geworden und er lernt zunehmend, mit ihr umzugehen. Eine Wiederaufnahme des Dualen Studiums bei HORNBACH war für ihn zwar nicht mehr leistbar, aber bei HORNBACH ist er geblieben: „In München hat man mir auch die Option aufgezeigt ein normales Studium zu beginnen und eine Art Betreuer oder Hilfskraft zur Unterstützung bei mir zu haben. Aber das wollte ich nicht. Ich wollte zurück zu HORNBACH, denn da hatte ich von Anfang an Unterstützung erfahren“, erzählt Milloth.

Während ihn die HORNBACH Stiftung „Menschen in Not“ finanziell unter die Arme greift, setzen sich die Kollegen aus dem Bornheimer Markt auf andere Art ein. Zum Start seines Dualen Studiums beispielsweise war Milloths Auto kaputtgegangen, also finanzierte er sich ein neues. Dann offenbarte sich der Gendefekt – und das Auto wurde für ihn nutzlos. Aber was sollte er tun?

Der Bornheimer Marktleiter und eine Kollegin aus dem Gartencenter kamen ihm zu Hilfe und führten bald schon Gespräche mit dem Autohaus. Gegen Zahlung einer kleinen Ablöse nahm es das Fahrzeug schließlich zurück.

Entscheidung für eine Ausbildung bei HORNBACH

Um bei HORNBACH bleiben zu können, was Marcel unbedingt wollte, gab es zunächst einige Fragen zu klären. Welche Möglichkeiten blieben ihm noch? Wie musste sein Arbeitsplatz gestaltet sein, damit er ganz normal arbeiten kann?

Milloth informierte sich, was es bei HORNBACH alles zu lernen gibt und was ihm gefallen könnte. Stets in engem Kontakt zur Personalabteilung, die versprach: „Wir schauen, was wir möglich machen können.“ Milloth entschied sich schließlich für eine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement. Seine Krankheit machte eine spezielle Arbeitsplatzausstattung notwendig, spezielle Hard- und Software, mit der er trotz seines Handicaps arbeiten konnte. Natürlich musste er sich erst einarbeiten, doch „heute ist die Ausstattung für mich alltäglich geworden. Nichts Besonderes mehr. Ich kann damit alles machen, was andere sonst auch tun“, erzählt Marcel.

Dank seines Abiturs kann Milloth seine Ausbildung um ein Jahr verkürzen. Und trotz seines Handicaps hat er alle üblichen Zentral-Abteilungen durchlaufen: „Ich wolle keine Extrawurst“, sagt er, „Wenn ich irgendwo ein Problem habe, dann sag ich es auch. Aber meine Krankheit war nie ein Problem im Umgang mit den Kollegen. Nirgends.“

Einschränkungen bleiben

Milloth ist auf einem sehr guten Weg, hat sich mit seiner Krankheit arrangiert. Doch an eine Sache kann er sich nicht gewöhnen: „Autofahren kann ich nicht. Dass ich dabei also von anderen abhängig bin, das ist überhaupt nicht mein Ding“, sagt er. Eine Folge dieser Abhängigkeit: Mit dem Regionalbus bräuchte Marcel fast eineinhalb Stunden zur Arbeit und wieder eineinhalb Stunden zurück. Und das für eine Strecke, die gerade einmal sieben Kilometer lang ist.

Aber auch hier unterstützt HORNBACH den jungen Mann: Marcels Arbeitszeiten sind vorab ausgemacht und ein regionaler Taxiservice holt ihn morgens zuhause ab und bringt ihn spätnachmittags wieder zurück. Außerdem unterstützen ihn die Personalabteilung, die Schwerbehindertenvertretung und der Betriebsrat beim Ausfüllen von Anträgen oder bei der Koordination von nötigen Umbauten am Arbeitsplatz. Und auch sonst wann und wo sie können.

An den Augen, nicht am Kopf

Aktuell arbeitet Milloth in der Abteilung Import, wo er – wie er findet – seine Stärken sehr gut einsetzen kann. „Mir gefällt der Umgang mit Zahlen, ich arbeite gern in und mit Systemen und habe gern Kontakt zu anderen Leuten. Dort kann ich mich fachlich und persönlich weiterentwickeln“, sagt er. Und schon jetzt ist klar, dass dieser beeindruckende junge Mann nach seiner Ausbildung übernommen wird. Darüber freut sich Marcel sehr: „Ich bin dankbar, dass man mir die Chance gibt. Denn ich hab‘s ja an den Augen – und nicht am Kopf.“

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