MACHER: Klara, auf Deiner Webseite steht das Zitat „When the hands are busy, the mind is quiet“. Was passiert mit Dir, wenn Du mit den Händen arbeitest?

Klara-Marie Schulke: Es beruhigt mich. Es ist fast wie eine Meditation, meine Gedanken werden ruhiger, Sorgen verschwinden, ich entspanne mich. Wenn ich zum Beispiel Leder gerbe, nehme ich diesen Prozess ganz bewusst wahr. Ich fühle, wie sich die Rohhaut in Leder verwandelt, in ein weiches, anschmiegsames Material, das ich nutzen kann. Dadurch, dass ich meine eigene Energie, Kraft und Zeit hineingebe.

Allerdings scheinen wir heute weit mehr mit unserem Verstand zu arbeiten, aber kaum mit unseren Händen. Ist uns da etwas verloren gegangen?

Wir haben auf jeden Fall ein Stück weit Selbstständigkeit und Eigenverantwortung verloren. Wir kaufen alles und werfen es weg, wenn etwas kaputt ist, statt mal ein Regal selber zu zimmern, Gemüse anzubauen oder Socken zu stopfen. Wir nehmen oft gar nicht wahr, was uns wirklich fehlt, weil wir kaum noch mit unseren eigenen Händen Dinge erschaffen. Aber manchmal kommt diese Sehnsucht nach dem Selbermachen durch. Das ist dann der Moment, wenn Menschen Nähkurse besuchen oder eben auch zu mir in einen Kurs kommen und lernen, sich aus natürlichen Materialien selbst ein Kleidungsstück zu nähen.

Klara-Marie Schulke

Das klingt total verlockend, und trotzdem trauen wir uns oft nicht, etwas zu bauen oder zu reparieren.

Klar, es könnte ja schiefgehen. Das kenne ich von meinen Schülern und manchmal auch – gerade aus der Anfangszeit – von mir selbst: Wenn jemand den halben Tag an einem Angelhaken geschnitzt hat und der zum Schluss zerbricht, denkt er: „Mist, alles umsonst!“ Dabei war es nicht umsonst. Du hast ja etwas gelernt, Du weißt, wie das Material reagiert und Du hast gemerkt, was Du falsch machen kannst. Das vermeidest Du dann beim nächsten Mal. Natürlich kommst Du auf dem Weg dahin manchmal an Deine Grenzen, musst Frust überwinden und vielleicht eine Pause machen, weil Du die Innenstiefel, die Du gerade herstellst, sonst ins Feuer schleudern würdest. Wenn Du später weitermachst und irgendwann in Deine warmen Stiefel schlüpfst, dann ist da dieses Gefühl: „Boah, das habe ich geschafft!“

Und wenn nun jemand wirklich „zwei linke Hände“ hat?

Kein Mensch hat zwei linke Hände. Natürlich gibt es Leute, die sich eher zum Handwerk berufen fühlen, schon als Kinder ganz viel basteln und später Tischler werden. Andere arbeiten lieber am Schreibtisch. Aber letztendlich können wir alle mit unseren Händen Dinge herstellen. In den alten Kulturen gab es auch Meister im Pfeileschnitzen oder Ledergerben, aber jeder konnte jede Arbeit ein Stück weit, das war lebenswichtig. Wer behauptet, er habe zwei linke Hände, nimmt sich selber die Kraft, diese Erfahrung zu machen.

Oft hindert uns unser eigener Perfektionismus ja daran, tatsächlich etwas selber zu schaffen. Wie findest Du den Mut, ein Projekt anzupacken?

Für mich ist es wichtig, nicht nur das Ziel zu sehen, die selbstgenähte Lederjacke oder die sauber gearbeitete Holztruhe. Sondern den Weg dahin. Selbst wenn mein Werk nachher nicht so aussieht, wie ich es mir in seiner gesamten Perfektion vorgestellt habe, habe ich auf dem Weg dahin doch einiges gelernt. Bei meiner ersten Lederjacke hat es ewig gedauert, bis ich mich getraut habe, den ersten Schnitt zu machen. Aber mit jedem Stück, das gelingt, fühle ich mich kreativer und unternehmungslustiger. Und habe dann umso mehr Lust, das nächste Projekt zu starten.

Klara Maria Schulke, Wildnistrainerin aus Brandenburg, verknüpft die ursprüngliche Welt mit der modernen Welt.

Du arbeitest vor allem mit Werkzeugen aus Naturmaterialien. Geht es nicht auch einfacher?

Eigentlich ist kaum etwas einfacher, als etwas mit dem zu schaffen, was die Natur hergibt. Steine, Hölzer, Rinden sind einfach da, man muss nur wissen, wie man sie einsetzt. Mich fasziniert es, auszuprobieren, wie ich mir selber helfen kann, wie ich Dinge, die im Wald liegen oder wachsen, in nützliche Gegenstände verwandeln kann. Aber natürlich benutze ich auch Dinge, die nicht aus der Natur kommen und die ich nicht selbst gemacht habe. Zum Beispiel einen Kübel und ein Schabeisen, die Lohe setze ich in einer Plastikwanne an, und wenn es regnet, bin ich froh, mal ein Tarp aufspannen zu können.

Wenn Du all die Hilfsmittel vergleichst, die Menschen früher und heute verwenden – was ist Deiner Meinung nach das wichtigste Werkzeug des Menschen?

Die ältesten Werkzeuge, die man gefunden hat, sind aus Stein, darunter zum Beispiel auch Feuerstein, sie dienten aber auch als Waffen. Menschen sind ja nicht superschnell, wir haben keine Reißzähne oder scharfe Krallen. Umso mehr sind wir in der Wildnis darauf angewiesen, unseren Verstand zu benutzen. So gesehen sind das unsere stärksten Werkzeuge: unser Gehirn, mit dem wir Lösungen für Probleme finden, und unsere Hände, mit denen wir die Lösungen umsetzen – von groben Arbeiten wie dem Behauen von rohem Holz bis zum Nähen mit einer filigranen Knochennadel.

Holz und Knochen solche Materialien aus der Natur berühren wir ja im Alltag kaum noch, oder gar nicht. Ist es für Dich ein Unterschied, ob Du mit Naturmaterialien oder Kunststoff arbeitest?

Auf jeden Fall. Bei der Arbeit mit Naturmaterialien, zum Beispiel mit Holz, denke ich viel mehr nach. Ich bearbeite einen Ast und irgendwann driften meine Gedanken zu diesen Fragen, wo der Baum wohl gewachsen ist, wie lang er gebraucht hat, um so kräftige Äste hervorzubringen, welche Tiere lebten darauf? Manchmal gehe ich dann in die Natur und schaue, wo die Bäume wachsen, und ich schaue im Internet und in Büchern nach und lerne noch etwas über die Natur, was ich vorher nicht wusste. Das würde mir bei der Arbeit mit Kunststoff nicht passieren.

Klara-Marie Schulke

Was hat Dich dazu gebracht, Dinge nicht einfach zu kaufen, sondern sie mit dem, was die Natur Dir bietet, mit eigenen Händen herzustellen?

Das hat schon sehr früh angefangen. Wir sind fünf Geschwister und waren immer viel in der Natur. Computerspiele, Smartphones und andere digitale Ablenkung hatten wir nicht. Nach dem Schulabschluss habe ich mich gefragt, wie ich die Natur in mein Erwachsenenleben integrieren kann. Den Beruf der Wildnistrainierin gab es noch nicht. Ich bin also einfach erst einmal nach Südafrika und in die USA gereist und habe von Einheimischen gelernt, was sie über das Leben in der Natur wussten. Natürlich könnte ich auch nach einem Bürojob im Wald spazieren gehen und so in Verbindung mit der Natur treten, aber ich wollte mehr. Erst wenn Du Dich von dem ernährst, was die Natur Dir gibt, oder ein Stück Holz bearbeitest, aus dem Du später einen Unterstand bauen willst, um trocken zu schlafen – dann gehst Du in direkten Austausch mit der Natur und bist nicht nur Zuschauer.

Das klingt fast so, als sollten wir alle zurück zur Natur finden, vielleicht so leben wie unsere Vorfahren?

Nein, nein, im Gegenteil. Ich bin ja auch nicht ausgestiegen. Ich lebe in meiner Wohnung, habe heißes Wasser und Strom. Ich will gar nicht aus unserem modernen Leben raus. Sondern ich möchte diese alte, ursprüngliche Welt, in der unsere Vorfahren lebten, mit unserer modernen Welt verknüpfen. Beide können und dürfen nebeneinander existieren, beide können sich gegenseitig bereichern. Das ursprüngliche Raus Gehen – wie es heute auch in Kursen und Projekten angeboten wird – kann uns Menschen helfen, ein Bewusstheit für uns und unsere Lebensweise zu bekommen.

Aus der eigenen Kraft entsteht etwas Nützliches und Schönes. Das ist das Ergebnis von Klara Maria Schulkes Handarbeit.

Wie das?

Die moderne Welt ist natürlich wahnsinnig bequem. Wir leben im Warmen, haben immer genug zu essen und wenn wir krank sind, können wir zum Arzt gehen. Aber wir konsumieren auch unheimlich viel und verschwenden dadurch, was in der Natur nur begrenzt vorkommt. Wenn ich selber etwas baue – und dann auch noch aus Holz, Stein oder anderen Naturmaterialien – erlebe ich, wie begrenzt diese Ressourcen sind und wie viel Zeit es braucht, etwas herzustellen. Ich mache mir auch Gedanken darüber, wie lange das Stück Holz braucht, um nachzuwachsen. Wenn Du einmal diesen ganzen Prozess vom Rohstoff, etwa von Zweigen oder rohem Leder, bis zum fertigen Gegenstand, etwa einem Jagdbogen oder einer Jacke, gegangen bist, wirfst Du nicht mehr so schnell etwas weg, um dafür etwas Neues zu kaufen. Dann reparierst Du auch mal ein Shirt, wenn eine Naht aufgegangen ist, weil Du weißt, dass darin endliche Ressourcen und die Arbeit einer Näherin eingeflossen sind.

Text: Anja Reumschüssel / Fotos: Verena Berg