„Es ist kompliziert.“ Régis Mathieu hält Teller, Arme und Säule eines antiken Ölkronleuchters in seinen Händen, betrachtet sie kritisch, setzt sie behutsam aufeinander. „Mein Kunde, ein Prinz aus Saudi Arabien, will für seinen Palast in Riad 60 Leuchter. Die Basis soll dieser alte hier sein, aber er soll drei zusätzliche Arme für Kerzen bekommen. Mit anderen Worten: Ich soll die Geschichte dieses Leuchters korrigieren.“ Régis’ dunkle Augen blitzen, die Mundwinkel heben sich zu einem Lächeln. Solche Herausforderungen wecken seinen Ehrgeiz. „Nein, das ist nicht schön so, hier brauche ich einen größeren Teller. Die Säule ist auch zu mager.“ Régis legt die Teile aus dem 18. und 19. Jahrhundert auf einen kleinen Tisch am Rande des großen Produktionsateliers seiner Lustrerie im südfranzösischen Lubéron. Vor seinem geistigen Auge sieht der 48-Jährige bereits, wie der Leuchter einmal sein wird.

Régis Mathieu

Zum Glück kennt er die Geschichte des Originals gut: „Ich habe ihn im Magazin unseres Museums. Ich weiß, wer ihn geschaffen hat, und ich werde die Grundideen des Künstlers bei meiner veränderten, neuen Version respektieren.“ Régis’ Devise: Bloß nicht unter dem Niveau der alten Meister produzieren. Noch etwas ist dem Südfranzosen wichtig: „Ich sehe mich als Künstler. Ich will nicht nur etwas von hoher Qualität herstellen oder eine Lampe, die bloß gut leuchtet. Ich will Emotion erschaffen.“

Im Produktionsatelier, einer restaurierten ehemaligen Ockerfabrik, herrschen Betriebsamkeit, Konzentration – und gute Laune. Régis nennt seine rund 30 Mitarbeiter „Gefährten“ und ein „Wahnsinnsteam“. Gemeinsam haben sie im vergangenen Jahr rund 500 Kronleuchter hergestellt, jeder davon ein Kunstwerk für sich. Das Ergebnis eingespielter Teamarbeit. Dabei wäre jeder der „Gefährten“ in der Lage, einen kompletten Kronleuchter von A bis Z alleine herzustellen. „Jeder hat seine Spezialität, aber alle sind fähig, auch die anderen Arbeitsschritte zu übernehmen. Das ist mir wichtig. Und jeder fühlt sich für den ganzen Leuchter verantwortlich“, erklärt Régis zufrieden. In mehr als 20 Jahren hat er dieses Team geformt. All die geschickten Hände machen am Ende die besondere Qualität eines Mathieu-Leuchters aus.

Kronleuchterhersteller Régis Mathieu probiert, wie der zu erschaffende Kronleuchter aussehen könnte.
Régis probiert, wie der neue Kronleuchter aussehen könnte

Die Rohlinge für die Leuchter kommen aus der eigenen Gießerei, alles andere passiert im Atelier. Sieben lange Werkbänke füllen den Raum mit ockerroten Wänden, unterhalb der Decke verlaufen Schienen. Zwischen Neonleuchten, die für Licht am Arbeitsplatz sorgen, hängen auch ein paar fertige Kronleuchter. Teile der verschiedenen Leuchterprojekte, die gerade in Arbeit sind, liegen in grauen Wannen oder hängen an einer Art Kleiderstange auf Rollen.

An einer dieser Werkbänke zerlegt Joaquim Mendes einen Leuchter. Dabei nimmt er jedes Teil genau unter die Lupe. „Was bei mir vom Tisch geht, muss genau passen und makellos sein“, erklärt der 55-Jährige. Zuvor hat er den Leuchter zusammengesetzt. „Sind alle Einzelteile fertig, das heißt die Rohlinge ziseliert, also die metallische Oberflächen verziert, und ein erstes Mal poliert, bauen wir sie zusammen. Dann justieren wir, damit alles passt. Wir entdecken auch kleine Fehler wie hier diese Minikratzer. Dieses Stück gebe ich noch mal an Kollegen zum Nachpolieren, danach sind die Kratzer weg.“

Schleifen und polieren, bis jedes Teil des Leuchters makellos ist. In Régis Mathieus Kronleuchteratelier ist voller Einsatz gefragt.
Schleifen und polieren, bis jedes Teil makellos ist

Schon jetzt glänzen die Stücke, als wären sie aus Gold. Dabei befindet sich noch kein Milligramm des Edelmetalls auf der polierten Bronze. „Im Augenblick sind sie sogar zu glänzend. Das ist uns zu protzig. Mein Kollege dort drüben wird sie noch einmal so polieren, dass das Relief der Motive, etwa dieser Faltenwurf, hervorgehoben wird.“ Doch so weit ist er bei diesem Leuchterarm noch nicht. Joaquim streicht sich nachdenklich über den grauen Bart. „Obwohl die Kollegen schon viele Arbeitsstunden mit diesem Stück verbracht haben, wurde etwas vergessen: Ein Kabel muss hindurchgeführt werden – das sind schließlich Halter für elektrische Kerzen.“ Das Problem ist schnell behoben: Mittels Bohrmaschine versieht Joaquim den Arm mit den entsprechenden Löchern. Anschließend benutzt er seinen „Pompom“, eine Feile in Kugelform. „Sie sitzt auf einem kleinen Pressluftbohrer und rotiert sehr schnell. Damit entferne ich schroffe Unebenheiten, die das Kabel beschädigen könnten.“

Régis Mathieu

Mit winzigem Prägestempel und kleinem Hammer versieht Joaquim jeden Leuchter mit der Signatur „Mathieu“. Und schreibt mit einem Graveur die Seriennummer auf größere Teile. „Das ist mein 16. Leuchter dieses Modells. Auf allen wichtigen Teilen habe ich die Nummer 16 eingraviert, damit es bei der Endmontage keine Verwechslungen gibt. Die Nummer setze ich an Stellen, die später nicht sichtbar sind.“ Signaturen auf Kronleuchtern sind bedeutsam, betont Régis, man findet sie auch auf antiken Lüstern. „Manchmal liest man dort sogar kleine Botschaften der Gesellen, die die Leuchter angefertigt haben.“ Auch seine Mitarbeiter hinterließen schon kurze Nachrichten für die Kollegen in ein- oder zweihundert Jahren. „Für uns ist das Objekt wichtiger als die Person, die es erschafft. Denn diese Kronleuchter werden uns überleben. Wir haben damit teil an etwas, das weit über die Gegenwart hinausgeht.“ Das ist auch für Joaquim, der zuvor als Dreher, Fräser, Schlosser und Feinmechaniker gearbeitet hat, einer der faszinierendsten Aspekte seiner Arbeit.

Sind die Leuchterteile nahezu perfekt, bringt sie Joaquim zum Vergolden in die „Bäder“. In einem separaten Raum, etwas abseits gelegen, riecht es nach chemischen Substanzen. Sechs längliche Tröge sind mit 70° C heißen Flüssigkeiten gefüllt, auf der Oberfläche eines Behälters schwimmen Tischtennisbälle. „Sie verhindern das zu schnelle Verdampfen der Flüssigkeit“, erklärt David Rondel. Er ist ausgebildeter Schmuckgraveur und arbeitet schon seit 19 Jahren bei Régis. Hier hat er die Techniken des Vergoldens gelernt. David trägt eine lange grüne Gummischürze, Gummistiefel, Gummihandschuhe, während der Vergoldung auch eine Atemmaske. Bevor er die Leuchterteile ins Goldbad taucht, werden sie in einer speziellen Lösung von Fetten und anderen Verunreinigungen befreit. Das Vergolden erfolgt durch Elektrolyse, erklärt der 43-Jährige. Er hängt oder legt die Stücke auf eigens dafür angefertigte Halterungen, die „grappes“ (Trauben), und taucht sie ins Bad. Beim Kontakt mit Metall heftet sich in der Flüssigkeit gelöstes Gold an den Gegenstand. „Je länger ich die Stücke im Bad lasse, desto dicker wird die Goldschicht.“ Anschließend spült er die Stücke in zwei weiteren Bädern, bevor er sie zum Trocknen aufhängt. Je nach Kundenwunsch werden die Teile nun gewachst oder auf alt getrimmt. „Wir schaffen 100 Jahre in fünf Minuten – die Magie des Alterns,“ sagt David und lacht. Wie sie das machen? Betriebsgeheimnis.

Letzte Etappe auf dem Weg zum fertigen Leuchter: die Endmontage. Céline Rousseau summt eine Melodie aus dem Radio, während sie einen dreiarmigen Wandkerzenhalter elektrifiziert. Die 42-Jährige zieht ein mit goldfarbenem Stoff bezogenes Kabel durch kleine Löcher an den Leuchterarmen, fixiert sie dabei so, dass man sie nicht sieht. Bei großen Deckenkronleuchtern verlaufen die Kabel teilweise im Inneren der Teile, erklärt die ausgebildete Juwelierin. „Aber bei einem mit Kristallperlen dekorierten Arm zum Beispiel, wie ihn mein Kollege gerade gestaltet, wird das Kabel auf der oberen Seite des Arms befestigt – von unten sieht das keiner mehr.“

Régis Mathieu

Geduld ist oberste Tugend in diesem Atelier. „Die Arme der riesigen Leuchter mit Perlen zu besetzen, das ist mühsame Kleinarbeit.“ Céline lächelt wissend. Erst muss man die Perlen auf einen Faden aufziehen, dann sorgfältig am Metall befestigen, mithilfe von Messingfäden, Klaviersaiten, speziellen Pinzetten und Zangen. „Ich liebe diese Arbeit! Sieht man das Resultat, weiß man, die Zeit war nicht vergeudet.“ Céline gibt Quentin Tipps, während er Blumenornamente aus Kristall fertigt. Danach hängt er sie an einen bereits mit Kristallperlen bezogenen Arm. Dass eine Blume nicht ganz genau wie die andere ist, sei nicht so schlimm, erläutert Céline: „Bei einem Leuchter von mehreren Metern Durchmesser kommt es nicht auf den Millimeter an. Das sieht man nicht, aber es ist der Beweis der Handarbeit. Und das macht letztlich die Schönheit aus: Der Lüster bekommt dadurch seine Seele!“
Das ist auch Régis’ Überzeugung. Im nächsten Jahr möchte er eine Ausbildungsstätte für den Beruf des Kronleuchterherstellers und -restaurators schaffen, die Expertise seines Teams mit anderen teilen. Das wird, ahnt er, ein harter Kampf mit der französischen Bürokratie. Der Grund: Den Beruf des Kronleuchterherstellers gibt es offiziell gar nicht, sagt Régis. Es sei nicht das erste Mal, dass er sich mit den Bürokraten anlegt. Viele neue Normen hat er bereits registrieren lassen, die bisherigen taugten nicht für seine Arbeit. Für spezielle Elektrokabel, für seine künstlichen Kerzen und für die „Evolution-5“-LED-Birne auf diesen Kerzen, die dem gedämpften, echten Kerzenlicht sehr nahekommen. Schließlich seien diese Lüster nicht dazu da, einen Raum zu erleuchten: „Ein Kronleuchter steht nicht im Dienst der Beleuchtung – es ist das Licht, das im Dienst des Lüsters steht. Es ist eine außergewöhnliche Skulptur, und ihre vierte Dimension ist das Licht.“

Ein bisschen Prunk, Hauptsache außergewöhnlich. Das sind alle Kronleuchter aus der Lustrerie von Régis Mathieu in Südfrankreich.
Ein bisschen Prunk darf sein, Hauptsache außergewöhnlich

Régis hat seine eigenen Vorstellungen, seine eigenen Träume. Die will er leben und teilen. Zum Wesen eines Kronleuchters gehören für Régis auch Großzügigkeit und der Geist, etwas gemeinsam zu erleben. „Ein Kronleuchter ist wie ein gutes Essen: Man macht es nicht für sich selbst, man will es mit anderen teilen“, erläutert er, „denn alles, was man nicht teilt, ist verloren.“

Text: Birgit Kaspar/ Fotos: Maite Baldi