Märchenland und Motorsäge
Jürgen Bergmann baut Baumhäuser, sein ganzes Leben schon. An der deutsch-polnischen Grenze hat er einen ganzen Freizeitpark aus wundersamen Hütten, Tunneln und Brücken errichtet.
In allererster Linie heißt das, mit ganzen Baumstämmen zu bauen. Pfeiler aus Robinien tragen die Konstruktionen. Sie dürfen ruhig einen Drehwuchs haben, also leicht gekrümmt sein. „Wie gewachsen, so gesägt“, ist noch ein Markenzeichen, das Jürgen während der Jahrzehnte entwickelt hat. Allein von der Robinie kauft Jürgen 150 Kubikmeter im Jahr. Auf seinem Werkhof liegen sie bereit, ein ganzes Meer aus braunen Stämmen. Dazwischen liegt Eiche, auch viel Lärchenholz, für die Verschalungen. Die Dachschindeln sind aus Zeder, sie kommen als einziges Holz von weiter weg, aus Kanada. Alle anderen Hölzer stammen aus der Region.
Von den Lärchen lässt sich die Rinde abkärchern, dafür gibt es hinten in der Ecke einen Waschplatz. Robinie und Eiche müssen abgeschliffen werden. Gerade das Splintholz muss ab, es hat keine Gerbsäure und ist nicht wetterbeständig. Also schiebt und zieht Jürgen die Fräse über einen Robinienstamm, der Motor jault. Solche Routinen sitzen bei ihm, das macht er im Vorbeigehen, im Wollhemd. Das helle Kernholz, das zum Vorschein kommt, glänzt. Aber zu glatt darf es nicht werden.
Als nächstes sägt Jürgen die Robinienstämme der Länge nach zu Viertelstämmen. Diese Kanthölzer bilden die vier Ecken des Holzhauses – jede Hütte erhält dadurch ihren eigenwilligen Schwung: „Das ist ideal“, sagt Jürgen. „Baue ich aus solch organischen Formen, sieht das gleich aus wie tausend Jahre alt.“ Mit der Kettensäge schleift er die Pfeiler grob an, danach folgt die Schleifmaschine. Alles machen Jürgen und seine Leute frei Hand: mit der Natur sägen, sagen sie dazu.
Aus der verspielten Bauart ist ein Geschäft geworden. In zwei großen Werkshallen lässt Jürgen Märchenhäuser für andere Freizeitparks bauen. Er schafft es schon lange nicht mehr, an jedem Projekt selbst Hand anzulegen. Viele Holzprofis hat er hergeholt, viele haben bei ihm gelernt – beim Holzbildhauer Jürgen, der er wirklich ist, oder auch beim Kettensägenkünstler, wie er selbst sich schon mal bezeichnet. Im Handelsregister heißt das, was er macht, natürlich anders: Kreative Holzgestaltung Bergmann. In dem Zimmermannsbetrieb entstehen Spielhäuser, mal Burgen oder Feenhäuser, die stehen gerade hoch im Kurs. Das Team errichtet riesige Kletteranlagen für Zoo-Spielplätze und Rutschentürme für französische Familienparks. In London steht eine Anlage, nach Südkorea ging auch schon eine. Jeden Entwurf, jede erste Skizze fertigt der Chef an, er schaut sich die Plätze bei den Kunden an und lädt sie dann zu sich an die Neiße ein. Für das Baumhausgefühl.
Die exportierten Holzhäuser sind für den Boden konstruiert, sie werden auf Spielplätzen und in Parks stehen und nicht in Baumkronen schweben. Aber sie haben den typischen Bergmann-Stil, mit viel rauem Charme. Da gibt es keine penibel glattgehobelten Flächen. „Wir schleifen das Holz nur“, sagt Jürgen, „weil es dann die Farbe oder Lasur ganz anders aufnimmt.“ Es muss sich immer noch anfühlen, wie sich ein wetterfestes Naturmaterial eben anfühlt. Kinder sollen echtes Holz erleben und ertasten. Das sagt der Chef. Auch wenn seine Ideen und Konstruktionen noch so verspielt sind: Für ihn sind sie eine sehr ernst gemeinte Mission.
Jürgen stammt aus einer Gärtnerfamilie in Zittau, weiter südlich in Sachsen. So kam er schon immer an Holz, selbst in DDR-Zeiten, wo das nicht selbstverständlich war. In seiner Jugend begann er zu schnitzen und konnte bald Masken und Figuren auf Kunsthandwerkermärkten verkaufen. Als Lehrling in der Forstwirtschaft kam er an eine Kettensäge heran. An den Wochenenden traf er sich mit anderen Laienkünstlern in der „Fördergruppe Holzgestaltung“, sie schufen Skulpturen für Spielplätze oder Kleinstadtparks – und Jürgen durfte die nächste Lehre zum Holzbildhauer antreten. Mitte der Achtziger Jahre, lange vor der Wende, übernahm er dann das uralte Gehöft an der Neiße. Am Ende der Welt damals. Er baute alles selbst aus, mit einem uralten Blockbandsägewerk stellte er jedes Brett her.
Außerdem holte er viele Künstlerfreunde auf seine „einsame Insel“ an der Neiße. Einsiedel hatte Jürgen den Ort getauft, nur er war hier ja weit und breit, wer sollte etwas dagegen haben. „Kulturinsel Einsiedel“ stand bald auch auf offiziellen Ortschildern. Die ersten Häuser wuchsen aus den Bäumen. Überall auf dem Gelände standen die Holzskulpturen der Künstler. Tiere, Phantasiegeschöpfe aller Größen. Ein alter, großer Gockel aus dieser Zeit steht noch heute auf dem zentralen Platz des Parks. Einige der Besucherbänke haben die Form von langen Drachen. „Die habe ich damals noch mit dem Trabi-Anhänger zu Handwerkermärkten gefahren. So alt sind die“, sagt Jürgen.
Als die Deutsche Einheit kam, gründete er eine Firma. Der erste Auftrag: ein Spiel-Baumhaus für den Tierpark Zittau, das steht auch heute noch. In Görlitz war es dann der Stadtparkspielplatz, der brachte gut Geld. Aus den nicht weit entfernten Braunkohle-Tagebauen der Lausitz holte sich Jürgen Baumaterial, und tut es bis heute. Alte Förderbänder aus schwerem Gummi, die dort ausrangiert werden müssen, verwendet er weiter, etwa als Fensterlaibungen.
Auch die Kronen von gefällten Bäumen erhalten bei Jürgen ein zweites Leben. Er lässt sie sich bringen, wenn Eichen in der Nähe geschlagen werden. Von solchen riesigen Stamm-Gabelungen, manche zwei mal zwei Meter groß, liegen gleich mehrere herum. Eichenholz bekommt kaum Risse, das ist gut für Skulpturen. Es weckt seine Bildhauerader, immer noch. „Du musst dir Dinge darin vorstellen, die dich antreiben“, sagt Jürgen. Sein ganzer Freizeitpark steht voll von Beweisen, dass er ständig getrieben ist von Ideen. Mit Kettensäge und Bildhauereisen gestaltet sich Jürgen seine Welt. Künstlerherz eben.
Text: Jörg Niendorf | Fotos: Stephan Floss