Kalter Kraftakt: Das Eishotel
Jeden Winter sägen und bauen Macher im Norden von Schweden aufs Neue das größte Hotel aus Eis. Wir waren vor Ort.
Das Licht ihrer Stirnlampe tanzt über eine Wand aus Schnee. Sie bildet den Rohbau des Eishotels im Norden Schwedens. Giovanna will einen Zugang hineinsägen. Gerüste werden aufgebaut, Stehlampen angeschaltet, Stromkabel verlegt. Sie zieht die Schutzbrille auf und den Hörschutz über die Ohren, atmet ein, atmet aus, drückt den Startknopf der elektrischen Motorsäge – und legt los.
Giovanna Martinez
Auf ausreichend Schneefall muss das Team sich nicht verlassen. Material gibt es genug. In einer Lagerhalle neben dem Hotel stapeln sich zweimal ein Meter große Eisblöcke wie gigantische Eiswürfel. In diesem teilweise mit Solarenergie betriebenen Mega-Kühlschrank lagert sämtliches Baumaterial. Es stammt aus der Natur, genauer: aus dem 200 Kilometer langen Fluss Torne nebenan.
Luca Roncoroni
Luca führt durch das Hotel. Die hohen Korridore, gestützt von gläsern wirkenden Eissäulen, wirken wie Tunnel in einem Labyrinth. Unter jedem Schritt knarzt Frost. Dann plötzlich ein Dampfbad. Nein, natürlich ist es kein echtes.
Was für ein irrer Anblick: Handtuchrollen, Bademäntel, Wasserhähne, Spiegel und Badewannen – alles aus Eis geformt. Jede Kante, jedes Detail ist bis auf den Zentimeter genau geschnitzt und geschliffen. Der hellblau schimmernde Lichtstrahler gibt dem Raum eine magische Aura. Luca scherzt: „Jedes Hotel braucht ein Spa. Doch ein heißes Bad kann man hier leider nicht nehmen.“ Rund 120 Arbeitsstunden hat Luca an dem Raum gearbeitet. Seine Werkzeuge: zwei Kettensägen und acht traditionelle japanische Eismeißel, mit Holzgriffen und unterschiedlichen Klingen. „Eis ist ein verdammt schwieriges Material“, sagt Luca, „denn es spiegelt die Temperatur wider.“ Liegt sie über dem Gefrierpunkt, kleben Eissäulen oder Wände nicht zusammen. Ist es kälter als minus 20 Grad, wird es spröde und bricht. „Du musst sehr effektiv arbeiten. Und präzise.“
Das weiß auch Linda Vagnelind, 45. Sie ist eine von 15 weiteren Künstlerinnen, die im „Ice Hotel“ die individuellen Zimmer gestalten. Ihr Hobby: Eisschwimmen. Im Winter taucht sie im Badeanzug zwischen Eisschollen durch die schwedischen Seen. Kälte ist sie also gewohnt. Und Winterschwimmen hat sie auch zu ihrem Kunstwerk inspiriert. Die Kälte vergleicht sie mit einem Ungeheuer, das in alle Glieder beißt. Doch habe man sich an sie gewöhnt, werde sie zum schützenden Freund, die Kraft gebe, erklärt die Künstlerin.
Linda Vagnelind
Text: Reinhard Keck I Fotos: Joachim Lundgren
So läuft eine Übernachtung im „Ice Hotel“ ab
Hotelgäste können ab 250 Euro die Nacht für ein Zweibettzimmer in eine magische Welt eintauchen. Die meisten Gäste buchen einen Urlaub im ganzjährig geöffneten „Ice Hotel 365“ und schlafen mindestens eine Nacht im temporären „Winter Ice Hotel“.
Und so funktioniert es: ein Tee mit Schuss an der Eisbar zum Aufwärmen; ab 18 Uhr kann man aufs Zimmer. Dort liegen Schlafsäcke bereit, die bis zu minus 20 Grad warm halten. Die Zimmertemperatur liegt allerdings bei minus fünf bis minus sieben Grad. Schnell in Skifahrerunterwäsche, Wollsocken und Mütze schlüpfen – und dann: schöne Träume. Beruhigend für Gäste übrigens: die Badezimmer sind nicht aus Eis. Am Morgen weckt das Personal die Gäste mit einem Tee. Wer sich ein Delux-Zimmer gönnt, kann direkt in die Privatsauna.