Der Moment, als mir Michael mit der Kettensäge die Füße wegsäbelt: tierisch weh tut das. Ich gebe keinen Laut von mir, zeige mich tapfer. Doch innen drin, ein Schmerzensschrei. Und Wut: Was für eine dumme Entscheidung. Hätte ich es nicht einfach gut sein lassen können, mit dem Schnitzen? Innen drin bin ich wieder acht Jahre alt und stehe in der kleinen Werkstatt meiner Grundschule. Werkunterricht bei dem von mir gar nicht geliebten Lehrer Roth. Aufgabe: einen kleinen Holzblock in ein niedliches Schweinchen verwandeln. Einziges Werkzeug: eine Raspel.

Das Ding muss stumpf gewesen sein, nur so kann ich mir das im Rückblick erklären. Jedenfalls raspelte ich ebenso verzweifelt wie vergeblich. Neben mir Martina, mit der mich eine heftige gegenseitige Abneigung verband. Sie war schon bei den Feinheiten des Schweinerüssels und warf mir gespielt mitleidige Blicke zu. Mir und meinem Holzblock, der ganz entfernt an das dickste Mastschwein der Welt erinnerte, wenn überhaupt.

Wütend legte ich einen Zahn zu, dann noch einen, raspelte immer schneller – und schnitt mir mit der wohl doch nicht so stumpfen Raspel in den Daumen; mein Mastschwein lief rot an. Mein Gesicht auch. Das war der Punkt, an dem ich erkannte: Das Schnitzen und ich, das wird nichts. Und doch: Bis heute wurmte es mich, dass ich als Achtjähriger so schnell aufgegeben hatte. Wer weiß, vielleicht hätte ich damals meine große Liebe entdeckt. Zum Schnitzen, nicht zu Martina natürlich. Mein Entschluss stand fest: Ein zweiter Anlauf musste her. Also meldete ich mich zum Kettensägen-Schnitzkurs bei Michael Damm an.

Michael merkt von dem Sturm in mir nichts, grinst mich an und deutet auf die Stelle, an der er gerade die Krallen – meiner Eule – in Sägespäne verwandelt hat: „Zweiter Versuch. Das ist das Gute bei den Krallen. Du hast eine zweite Chance, kannst sie einfach eine Etage tiefer legen.“ Und da fange ich mich wieder. Genau deshalb war ich hier. Meine zweite Chance.

Als ich vor ein paar Stunden hier, auf einer Waldwiese bei Bad Sachsa im Südharz, ankomme, gibt es noch keine Eule. Es gibt nur ein Stück Baumstamm und eine Kettensäge. Und Michael Damm, der mir heute in einem Privat-Workshop beibringen will, wie man mit der Kettensäge eine Eule schnitzen kann.

Bevor es losgeht, schlüpfe ich in die Schnittschutzhose. Das dicke Kleidungsstück wärmt zwar mehr, als mir an einem sonnigen Herbsttag wie heute lieb sein kann. Aber eine Kettensäge ist keine Kinderraspel, Sicherheit geht vor Komfort. Wie mit einem Messer in ein Stück Butter sticht Michael dann mit der Säge mitten in den Stamm, Douglasie. Durch den entstandenen Schlitz führe ich einen Gurt, so kann ich den Stamm an einem größeren Holzblock befestigen. Mein Arbeitsplatz ist angerichtet. Jetzt darf ich selbst zur Säge greifen – und erst mal die Rinde vom Stamm schälen.

Autor Sascha Borrée darf selbst zur Säge greifen und erstmal die Rinde vom Stamm schälen.

Auf das Holz, das darunter zum Vorschein kommt, zeichnet Michael geschwungene Striche. „Da werden nachher die Ohren draus“, erklärt er. Ich blicke zu der einschüchternd filigranen Holzeule, die neben mir Modell steht. So soll mein eigenes Exemplar nachher auch aussehen. Und ja, doch: Entfernt erinnern Michaels Striche tatsächlich an Eulenohren.

Mit der Spitze der Säge schneide ich an den Strichen entlang, etwa einen Zentimeter tief. Geht ganz gut, zur kleinen Herausforderung werden nur scharfe Kurven. „Normale Kettensägen können das gar nicht“, sagt Michael. „Ich habe eine spezielle Carvingschiene draufgezogen, extra entwickelt fürs Schnitzen. Sie hat mehr Kettenelemente, weniger Abstand dazwischen und einen kleineren Radius an der Schienenspitze. So schafft sie auch engere Kurven.“

Michael zeichnet die Umrisse des ersten Flügels, ich schneide wieder nach. Und darf anschließend entlang der Striche tief in das Holz hineinsägen, erste Stücke abtrennen. „Aufpassen, nicht zu schräg rein, an den richtigen Winkel denken“, mahnt Michael. „Denn was ab ist, ist ab.“ Und was, wenn zu viel ab ist? „Dann haben wir ein schönes Stück Brennholz.“ Okay, verstanden. Ich passe ja schon auf.

Sascha Borrée zeichnet die Umrisse seiner Eule an dem Baumstamm und fängt dann an, die Eule aus dem Holz zu schnitzen.

Eine ganze Weile geht es jetzt so weiter: Michael zeichnet, ich säge. Manche Schritte demonstriert Michael auch an einem eigenen Stück Stamm. Was da eine Minute braucht, dauert bei mir schon mal eine geschlagene Viertelstunde. „Ich habe ja auch jede Menge Übung“, tröstet Michael, „habe vor 20 Jahren mit dem Kettensägenschnitzen angefangen.“ Wir kümmern uns erst um das Gesicht der Eule. Das ist am schwierigsten, da kann am meisten schieflaufen.

Und wenn etwas schiefläuft, so Michael, dann besser gleich am Anfang. Brenzlig wird es an den Augen, noch brenzliger am Schnabel, wo wir vorsichtig mit der Spitze der Säge arbeiten müssen. „Anders als bei den meisten Stellen kann man Fehler am Schnabel kaum noch ausbügeln“, sagt Michael. „Wenn der nicht mittig sitzt, sieht die Eule einfach seltsam aus.“ Zum Glück, der Schnabel gelingt. Danach wird es wieder etwas gröber, geht es an Flügel, Rumpf und Kopf.

Sascha Borrée schnitzt mit einer Kettensäge die Figur einer Eule aus Holz.

Stück für Stück löse ich von meinem Holzblock alles, was nicht nach Eule aussieht. Ich staune, wie schnell der Vogel dann doch Gestalt annimmt. Nach vier, fünf Stunden schmerzen mir die Ohren, aber an der Säge werde ich immer sicherer und mutiger. Michael zeigt mir bei seiner eigenen Eule noch, wie man schöne Krallen schnitzt. Erst sägt er sie ganz kantig aus, dann scheint er sie mit der Schneide seiner Säge regelrecht zu streicheln; richtig echt und feingliedrig wirken sie. Ich bin skeptisch, ob mir das auch gelingt, gebe trotzdem tapfer mein Bestes. Das Resultat: sieht so aus, als sei meine Eule mit ihren Krallen in eine Mäusefalle geraten. Michael säbelt die Krallen gnadenlos weg, ermutigt mich zum zweiten Versuch. Ich schlucke, drücke den Schmerz weg, mache mich wieder ans Werk. Dieses Mal geht alles gut, zum Glück.

Sascha Borrée schnitzt mit einer Kettensäge die Füße der Eule in Holz.

Mit verschiedenen Schnitten verpasse ich der Eule jetzt ihr Federkleid. Die entsprechenden Techniken und Muster übe ich vorher noch an einem anderen Holzblock. Klar, wenn Michael das macht, sieht es deutlich eleganter aus. Trotzdem: Ich finde, auch mein Gefieder kann sich sehen lassen. Per Bunsenbrenner flamme ich die Eule schließlich ab. Vorstehende Stellen werden schwarz, die tiefer liegenden bleiben hell, was dem Federkleid zusätzliche Tiefe gibt.

Sascha Borrée schnitzt die Details seiner Eule mit einer Kettensäge und flammt am Schluss seine selbstgeschnitzte Eule mit einem Bunsenbrenner.

Ich bewundere mein Werk von allen Seiten, bin schon ein bisschen beeindruckt. Sieht wirklich aus wie eine Eule, hat alle Feinheiten und Raffinessen, die eben dazugehören.

Autor Sascha Borrée bewundert sein Werk von allen Seiten und ist sichtlich stolz.

Dann denke ich kurz noch mal an Martina, das Mädchen aus meiner Grundschulklasse. Ob sie das mit einer Kettensäge wohl auch so gut hinbekommen hätte? Ich jedenfalls habe mein Trauma von damals überwunden – und vielleicht ein neues Lieblingshobby dazugewonnen.

Text: Sascha Borrée | Fotos: Lucas Wahl