Wenn sich schon mal die Gelegenheit ergibt, einem meiner Freunde so richtig aufs Dach zu steigen, bin ich natürlich sofort dabei: „Ich mache mein Dach neu, machst du mit?“, fragt Christian. Was für eine Frage! „Na klar“, will ich schon antworten, komme dann aber doch noch ins Grübeln. „Sag mal, haben wir da eigentlich das nötige Knowhow? Schaffen wir das alleine? Und ist das denn sicher?“

Ein ganzes Dach neu decken? So etwas ist dann doch ein paar Nummern größer als meine üblichen Projekte. Aber Christian kann mich gleich beruhigen: „Mein Kumpel Markus ist selbstständiger Handwerker, ein absoluter Profi. Der kennt sich aus, kommt vorbei und leitet uns an.“ Na, dann kann’s ja losgehen. Genug zu tun gibt’s hier auf jeden Fall.

Denn Christians altes Dach sieht zwar noch ganz ordentlich aus. Aber wirklich regendicht ist es nicht mehr, auch die Dämmung lässt zu wünschen übrig. Das Haus, das Christian vor zwei Jahren in Göttingen gekauft hat, hat eine grundsolide Substanz. Und bietet eben gleichzeitig jede Menge Potenzial für Modernisierungen und Verschönerungen. Direkt vor dem Einzug hatten wir uns mit Freunden erst mal um innere Werte gekümmert – tapezieren, streichen, Laminat verlegen. Nach einer Ruhe- und Planungsphase folgt jetzt die nächste Sanierungswelle. Und die hat es in sich: „Die Dach-Aktion auf der Südwestseite ist erst der Anfang“, erzählt Christian. „Wenn wir durch sind, kommen Solarmodule drauf. Dann ist die Nordostseite dran. Dort will ich mehr Platz schaffen, eine Gaube einbauen. Zum Schluss geht’s an den Innenausbau, dabei wird dann auch noch weiter gedämmt.“

Christian

Eine Woche später parkt Markus seinen Transporter vor Christians Haustür. Auf der Ladefläche: Holz für die Dachlatten, Platten für die Aufsparrendämmung, dazu eine Unterspannbahn auf meterbreiter Rolle. Dann eimerweise Schrauben und Nägel, jede Menge Profi-Werkzeug, ein ganzes Akku-Arsenal. Und ein Satz Schutzgeländer für die Dacharbeiten – sicher ist sicher!

Als erstes montiert Markus die Schutzgeländer und prüft, ob alles fest ist. „Alles gesichert, ihr könnt raufkommen“, ruft er uns zu. „Selbst wenn ihr mal den Halt verliert und ausrutscht, fängt euch das Geländer jetzt ab. Und gleiches gilt für Ziegel, die ihr vielleicht mal versehentlich fallen lasst.“ Das Geländer bietet also sogar doppelte Sicherheit – für uns, die wir oben auf dem Dach sind genauso für alle, die unten stehen oder vorbeigehen.

Dank der Vorarbeit von Markus wagen sich jetzt auch Christian und ich nach oben. Schwindelerregend hoch ist das Haus ja nicht. Wenn ich unten, im Vorgarten, auf Zehenspitzen stehe, kann ich mit ausgestrecktem Arm fast die Regenrinne berühren. Trotzdem: Wir wollen hier auf Nummer sicher gehen. Als ich oben von der Leiter steige, bedanke ich mich bei Markus deshalb erstmal für das Schutzgeländer. Und für seine ruhigen, klaren Anleitungen, seine souveräne Art. So viel ist klar: Der Mann macht so was schon seit vielen Jahren, er strahlt einfach jede Menge Erfahrung aus.

Also legen wir mit dem Abdecken los. Markus macht vor, wir machen nach. Der allererste Ziegel, den wir in der Dachmitte lösen, wehrt sich noch – die Ziegel links und darüber liegen auf, müssen angehoben werden. Dann ein kleiner Spalt, ein bisschen ruckeln, Fingerspitzengefühl: Schon klafft die erste Lücke im Dach. Alles Weitere geht relativ einfach, per Dreierkette: Einer deckt ab, wirft die Ziegel zum zweiten Mann, der gleich weiter wirft. Der Dritte im Bunde fängt unten auf, stapelt. Schnell kommt Routine auf, das Tempo zieht an. Schritt für Schritt legen wir die alten Dachlatten frei, bekommen so auch bald guten Tritt unter den Füßen. Drei Stunden später liegt das Dach komplett blank. Geschafft!

Nachdem Autor Sascha Borrée gemeinsam mit Christian und Markus die Dachziegel abgedeckt hat, kommen die alten Dachlatten zum Vorschein.

Und jetzt? Wie weiter? Was genau haben wir eigentlich vor? „Wir montieren eine Aufsparrendämmung mit Unterspannbahn“, erklärt Markus. „So können wir später, beim Innenausbau, zusätzliche Dämmung reinbringen und eine Dampfbremse verlegen. Damit wäre das Dach auf neuestem Stand.“ Heißt konkret: die alten Dachlatten mit dem Stemmeisen von den Dachsparren lösen. Genau der richtige Job für mich – nachdem Markus mir einmal gezeigt hat, wie es geht. Markus baut währenddessen die Dachfenster aus, denn das Dach wird durch unsere Arbeiten etwas höher.

Anschließend positionieren wir die Aufsparrendämmung. Die kommt in praktischen Platten an. Die Unterspannbahn wird auf dem Gehweg vorm Haus abgemessen, zugeschnitten, dann über der Aufsparrendämmung ausgelegt. Zum Schluss bringen wir noch Holzlatten an, sogenannte Konterlatten – exakt dort, wo hinter Unterspannbahn und Aufsparrendämmung die Dachsparren verlaufen. Mit langen Schrauben wird alles aneinander befestigt. Fertig! Jedenfalls für heute ...

Nachdem die Aufsparrendämmung auf dem Dach angebracht wurde, legt Autor Sascha Borrée die Unterspannbahn über der Aufsparrendämmung aus.

Am nächsten Tag stellen wir die Dachlattung fertig – also den Teil der Konstruktion, der später die Dachdeckung trägt. Ich stehe an der Kreissäge, länge Holzlatten ab. Auf dem Dach werden sie angeschraubt, als sogenannte Traglatten, im 90-Grad-Winkel zu den Konterlatten. In parallelen Reihen mit exakt 42,7 Zentimeter Abstand – genau so lang sind die Dachziegel, die wir später auf die Traglatten legen. Keine neuen Ziegel, das wäre Verschwendung. Die alten sind schließlich top erhalten – und hinter den Solarmodulen, die Christian anschließend auf dem Dach montieren will, bald sowieso nicht mehr zu sehen.

Autor Sascha längt die Traglatten ab und schraubt sie gemeinsam mit Markus im 90 Grad Winkel zu den Konterlatten an.

Eine Grundreinigung brauchen die Ziegel trotzdem. Nur gut, dass uns der Nachbar seinen Hochdruckreiniger leiht. Ich nehme mir die Ziegel vor, befreie einen nach dem anderen per Wasserstrahl von Ruß, Flechten und sonstigen Ablagerungen. Als ich fertig bin, leuchten sie wieder in sattem Rot. Markus arbeitet derweil auf dem Dach, sägt Fensteröffnungen in Traglatten und Aufsparrendämmung, setzt dann die Fenster selbst wieder ein.

Zuerst befreit Sascha die alten Dachziegel mithilfe eines Hochdruckreinigers von Ruß, Flechten und sonstigen Ablagerungen, dann sägt Markus auf dem Dach Fensteröffnungen in Traglatten und Aufsparrendämmung.

Endlich geht’s ans Dachdecken! Wie kommen die Ziegel wieder hoch aufs Dach und dort weiter an die ihnen vorbestimmte Stelle? Mit einer Menschenkette – Christian hat noch ein paar Freunde mobilisiert: Sechs Köpfe, zwölf Hände. Dann wird geworfen – und gefangen. „Wir haben noch keinen einzigen Ziegel zerdeppert“, staune ich nach zwei Stunden. Prompt gleitet mir der nächste durch die Hände, zerspringt mit lautem Scheppern auf dem Asphalt.

Glücklicherweise hat Christian zwischendurch ein paar neue Ersatzziegel aufgetrieben. Auch einige nur leicht beschädigter Ziegel können wir so großzügig austauschen. In Reih und Glied legen wir die Ziegel oben ab, auf einander und auf die Traglatten. Meistens sitzt alles einwandfrei, nur selten wackelt was, steht irgendwo ein Spalt zu weit auf. Dann muss ich wieder abdecken – manchmal den letzten Ziegel, manchmal auch die halbe Reihe, bis der Fehler gefunden ist. Ich bin beeindruckt: Das wirkt doch alles schon sehr robust.

Mithilfe einer Menschenkette werden die Ziegel aufs Dach transportiert. Danach legt Autor Sascha Borrée die Dachziegel in Reih und Glied ab, aufeinander und auf die Traglatten.

Noch stabiler wird unsere Konstruktion durch die sogenannten Ortgangziegel, die Abschlusssteine jeder Reihe, die ich mit Schrauben fixiere. Die Firstziegel – die Ziegel der obersten Reihe – befestige ich mit speziellen Klammern. Markus erledigt noch letzte Arbeiten an der Dachtraufe, wo er die Dachrinne und das Traufenlüftungsgitter montiert. Letzteres lässt Luftfeuchtigkeit abziehen – und verhindert, dass sich kleine Tiere im Raum zwischen Ziegeln und Unterspannbahn einnisten.

Den letzten Firstziegel setzt Christian, unser Bauherr. Wir nicken uns anerkennend zu, bewundern unser Werk. Und jetzt? Feierabend? Ich habe eine bessere Idee: „Wir könnten doch auf der anderen Seite gleich mit der Gaube weitermachen“, schlage ich vor. „Im Prinzip eine gute Idee“, meint Markus. „Aber mein nächstes Projekt wartet schon, ich baue meiner Tochter erst mal ein Tiny House.“ Ich mache ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter bei offenem Dach: Ohne Markus, den Fachmann, so viel ist sicher, läuft hier leider gar nichts. Er sieht mir die Enttäuschung an: „Wir können die Gaube im Herbst angehen, dann komme ich wieder“, schlägt er vor. „Versprochen?“, frage ich. „Versprochen!“, antwortet er.

Text: Sascha Borree I Fotos: Franziska Gilli