Ein paar Tage, Wochen. Länger würde er nicht leben. Das ahnten wir Kinder, als Fritz, der Schneemann, damals in die Welt kam: drei dicke Schneekugeln, Karotte, Kohlestücke. Irgendwann, tatsächlich: Tauwetter. Fritz sank in sich zusammen, verlor die orangene Nase, die schwarzen Augen und Zähne. Kein schöner Anblick. Eine Lehrstunde in Sachen Vergänglichkeit.

Ich stapfe durch den Tiefschnee, denke an Fritz, zum ersten Mal seit Jahren. Vergänglich wie er wird auch mein heutiges Tagwerk. Kein Schneemann, nein, ein Schneehaus, ein Iglu. Vor mir läuft Cecilia Lundin über ein weites, kahles Schneefeld. Cecilia: blonde Haare, rote Wangen, lautes, sprudelndes Lachen, ist Expertin – eine der besten fürs Iglu-Bauen in Schweden.

Ein echtes Iglu baut man nicht einfach irgendwo. Geeigneten Schnee, fest genug und tragfähig, gibt es in der Mitte von Europa kaum. Ideale Bedingungen finden sich dagegen im hohen Norden, in Schwedisch-Lappland. Dort ging es mit dem Auto bis tief in die Wildnis, dann per Snowmobil weiter über den zugefrorenen Langas-See bis an den Rand des Sarek-Nationalparks in die urige Berghütte Saltoluokta: winterliche Zuflucht für Langläufer, Hundeschlittenführer. Und Iglu-Bauer wie Cecilia und mich. Als wir am nächsten Morgen zur Tat schreiten, steht die Sonne schon knapp über dem Horizont, das Thermometer bleibt aber auf minus 15 Grad kleben.

Erste Aufgabe für uns. Einen passenden Platz finden. „Hier unten am See ist der Schnee nicht fest genug“, sagt Cecilia mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze. Also steigen wir den nächsten Berg hoch. Irgendwann rammt Cecilia prüfend ihren Fuß in den Boden. „Mach mit“, fordert sie mich auf. „Du bist schwerer als ich. Wenn du hier nicht einbrichst, haben wir unseren Bauplatz.“ Ich drehe mich stampfend im Kreis, komme mir vor wie ein Inuit-Schamane beim Geistertanz. Und der Schnee? Hält, besteht den schamanischen Trampeltest.

Sascha mit Schaufel und Säge in der Schneelandschaft über dem zugefrorenen Langas See in Schweden.
Sascha beim Trampeltest. Beim Bauplatz gilt: Der Untergrund darf nicht nachgeben.

Das Beste beim Iglu-Bau: Man muss kein Baumaterial ranschleppen. Und nur ein Minimum an Werkzeug: zwei Schaufeln und Sägen. Wir buddeln eine kleine Grube in den Schnee, stellen uns rein, schneiden zum Hang hin die Blöcke aus. 60 Zentimeter breit, bis zu 40 Zentimeter tief, grob geschätzt. Gemessen wird per Auge, höchstens noch mit dem Sägeblatt. Ein letzter Schnitt löst den Block unten ab.

Eine lange Säge, mit der Sascha einen Block aus dem Schnee sägt.
Materialbeschaffung: Mit der Säge schneidet sich Sascha Blöcke aus dem Schnee.

Gegen Mittag stehe ich schwitzend zwischen meinen aufgestellten Schneeblöcken. Ein Anblick wie der Steinkreis von Stonehenge – Snowhenge! „Genug“, sagt Cecilia. Mit einem Skistock messen wir den Durchmesser unseres Iglus aus, rund zwei Meter. Platzieren die erste Reihe von Blöcken. Wichtig: Die Bausteine sind nicht gleich groß, werden so aufgestellt und zugeschnitten, dass sie schneckenförmig ansteigen. Dann folgt die nächste Reihe. Jeder neue Block lehnt sich sicher an den vorherigen, neigt sich leicht nach innen. Bei Bedarf noch kleinere Sägearbeiten, Kanten optimieren. Passt!

Sascha trägt einen großen Schneeblock.
Stapelware: 60 mal 40 Zentimeter sind die Blöcke.

Reihe um Reihe wächst das Iglu. Als es mir fast zum Gürtel geht, steige ich rein. Cecilia bleibt draußen, reicht weitere Blöcke rüber. Je höher das Iglu, desto stärker die Neigung, mit der ich die Schneeblöcke einsetzen muss. Und umso entscheidender, dass alles gut hält. Mehr als einmal rutscht der gerade gesetzte Block ab, löst sich am Iglu-Fußboden in Schneegestöber auf. Macht nichts. Nachschub gibt’s genug. Dann der Schlussstein. Kein Quader, ein undefinierbares Unikat, das ich krumm und schief zurechtsäge, um die letzte Lücke im Dach zu schließen.

Dach des Iglus. Cecilia und Sascha setzen den Schlussstein.
Der Schlussstein ist ein Unikat, das von Sascha passend gesägt wird.

Blau schimmerndes Licht, das Iglu umgibt mich wie ein Kokon. Fehlt nur noch der Eingang. Ich schneide ein kleines Loch in die Wand. Grabe den darunter liegenden Schnee bis zum Boden weg. Der Eingang gleicht jetzt eher einem Tunnel – nur so bleibt die kalte Außenluft draußen. Ich krieche raus ins Freie, begutachte das fertige Iglu. Na ja, kein Schmuckstück, etwas wackelig wirkt es schon. „Das täuscht, der wird was aushalten“, sagt Cecilia.

Sascha liegt im Tunnel des Iglus und schaut hinaus.
Freie Sicht in die weiße Weite: Sascha nach seiner ersten Nacht im Iglu.

Zum Schluss das Interieur: Statt Teppich verlegen wir Rentierfelle, darauf den Schlafsack – die Nacht kann kommen. Ich friere, träume von Fritz, dem Schneemann. Früh weckt mich das Licht der Morgensonne, das durch die Schneewände schimmert. Strahlendes Weiß, wo immer ich hinschaue. So, denke ich, muss es im Schneemannshimmel aussehen.

Sascha mit Schaufel vor dem fertigen Iglu in Schweden.
Er hat es gemacht: Sascha vor dem fertigen Iglu.

Text: Sascha Borrée | Fotos: Anne Gabriel-Jürgens