Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum. Wie grün sind deine Blätter. Unsere Autorin ist schon seit Wochen in Weihnachtsstimmung. Und hat sich vorgenommen: Dieses Jahr fällt sie endlich mal selbst einen Weihnachtsbaum.

„Dezember“. Das ist meine Antwort, wenn man mich nach meinem Lieblingsmonat fragt. „Dezember“ bedeutet in Hamburg meist: Regen, Kälte – und kein Schnee. Aber auch: Weihnachtszeit. Und ich liebe Weihnachten. Mehr als die Feiertage selbst aber noch die Vorfreude, das Vorbereiten, das Dekorieren. Vor allem den Weihnachtsbaum.

Wichtig dabei: Es muss ein echter Tannenbaum sein. Darauf bestehe ich, seitdem ich in meine eigenen vier Wände gezogen bin. Denn: Bei meinen Eltern gab es den nicht. Sie kramten jedes Jahr den Plastik-Weihnachtsbaum vom Dachboden hervor. Der machte halt weniger Dreck. Und sah ganz okay aus. Den dekorierten wir dann gemeinsam. Ich übereuphorisch mit ganz viel Lametta, als wenn ich damit zwanghaft Weihnachtsstimmung aufkommen lassen könnte. Das Ergebnis: Eine Wohnung, die nicht nach Tannennadeln roch. Sondern nach einem verstaubten Plastik-Bällebad.

Esther Acason

Selbst einen Tannenbaum fällen? Hab ich natürlich auch noch nie gemacht. Das soll sich jetzt ändern. Mit unserem Fotografen Lucas fahre ich nach Wenzendorf in der Nähe von Hamburg. Auf „Hof Oelkers“ werden seit über 50 Jahren Weihnachtsbäume angebaut. Hier werde ich meinen ersten Weihnachtsbaum fällen. Auf der Anbaufläche von rund 500 Hektar werde ich garantiert fündig.

Bei bestem norddeutschen Regenwetter treffen wir Angela Oelkers, die seit rund fünf Jahren im Familienbetrieb arbeitet. Gemeinsam stiefeln wir durch das matschige Feld, feiner Nieselregen peitscht uns mit einem kalten Wind ins Gesicht. Von Weihnachtsstimmung keine Spur. Ich bleibe euphorisch und schwinge erwartungsvoll das scharfe Beil, das Lucas und ich extra vorher besorgt haben. „Geht’s jetzt los?“, frage ich Angela. „Nicht so schnell – und am besten nicht mit dem Beil“, sagt sie. „Hier auf Hof Oelkers geben wir unseren Gästen die Säge zum Baumfällen. Viele Leute kommen hierher und wollen großspurig die Motorsäge anwerfen. Doch gerade, wenn Kinder dabei sind, ist das viel zu unsicher.“ Na gut, etwas enttäuscht ergreife ich die Säge, die sie mir hinhält und gehe auf einen Tanne zu. Der soll’s sein! „Moment“, unterbricht sie mich. Bei der Baumauswahl gibt es einiges zu beachten. Vor allem die Färbung des Baumes. Sie sollte bei der Nordmanntanne kräftig grün und etwas „glänzend“ sein. Ist hier der Fall. Zudem sollte die Tanne ein einheitliches Nadelkleid haben. Na gut, könnte gleichmäßiger sein. Ich stapfe weiter durch das Feld, überprüfe das Nadelkleid und entscheide mich: Für eine riesige, drei Meter große Nordmanntanne. Sie hat den schönsten Wuchs und wird alles in den Schatten stellen. Wenn schon, denn schon. In meine Wohnung wird sie nicht passen, aber für die Agentur, in der ich arbeite, ist sie perfekt. Das gibt es hohe Decken – und noch keinen Weihnachtsbaum. Passt doch.

Esther Acason (li.) und Angela Oelkers vom „Hof Oelkers“ in Wenzendorf suchen einen geeigneten Weihnachtsbaum zum Fällen aus.

Jetzt geht’s der Tanne an den Kragen – oder vielmehr an den Baumstamm. Angela biegt die unteren Äste auf einer Seite leicht nach oben und hält sie fest, ich krabbele halb unter den Baum, bringe mich in Stellung. Aufgestützt auf das rechte Knie. Vollkommen im Matsch. „Das kann ja lustig werden“, denke ich noch. „Vor allem unbequem, hoffentlich brauche ich nicht so lange.“ Ich setze die Säge rechts an den Stamm und beginne damit, meinen ersten Baum zu fällen. Ich komme gut voran. Ich säge durch den Stamm wie Butter. Wenn das so weitergeht, bin ich gleich schon fertig. Doch nichts da. Plötzlich stocke ich. Ich komme nicht weiter. Warum nicht? „Du musst mehr Druck auf die linke Seite ausüben. Und weiter sägen“, macht mir Angela Mut. Ich hatte mir das einfacher vorgestellt. Und schneller. Angela versichert mir, dass das oft passiert. „Man sieht halt gar nicht oder nur schlecht, wie weit man den Stamm schon gesägt hat. Daher ist es immer gut, wenn eine weitere Person die Äste etwas hochbiegt und eine Ansage macht, wie weit der Andere schon gesägt hat.“ Und sie behält Recht: Mit etwas mehr Druck nach links säge ich immer weiter, der Baum kippt langsam, Angela hält ihn und lässt ihn sanft zu Boden gleiten, damit die Äste nicht zerbrechen. Mein erster Tannenbaum ist gefällt. Ich bin nass, leicht vermatscht, doch extrem stolz. Der Nieselregen ist mir gerade egal. Angela und ich tragen meine Nordmanntanne – sie packt hinten an, ich vorne – quer über das Feld zu unserer nächsten Etappe. Ganz schön schwer, das Teil.

Die Autorin Esther Acason sägt auf „Hof Oelkers“ in der Nähe von Hamburg ihren ersten eigenen Weihnachtsbaum.

Jetzt gehen wir zur Einnetzmaschine, die ein paar Meter weiter am Straßenrand steht. Wieso netzen wir den Baum schon jetzt ein? Ich dachte, wir spitzen zuerst den Baumstamm an, um ihn später schnell in den Weihnachtsbaumständer stellen zu können. „Nein, genau das machen die meisten leider falsch“, erklärt Angela. „Man soll die Tanne erst ansägen und anspitzen, kurz bevor man sie aufstellt. Sonst läuft das Harz aus und der Baum trocknet zu schnell aus“. Also gut, also netze ich ihn erstmal ein. Hieve ihn gemeinsam mit Angela zur Einnetzmaschine, schiebe den Stamm vorsichtig in das kleine Rohr, um das von außen das Netz gewickelt ist. Schalte die Maschine mit einem Knopf an. Gemeinsam schieben wir den Baum immer tiefer in das Rohr. Doch das ist gar nicht so einfach. Mit seinen drei Metern Höhe ist er natürlich auch sehr breit. Wir geben nicht auf. Mit vereinten Kräften schieben wir den Baum vorsichtig durch die Öffnung, damit wir die Äste nicht beschädigen. Und Schwupps, schon ist der Baum mit dem Netz umwickelt. Geht doch! Jetzt muss er nur noch auf das Dach von Lucas’ Auto. Irgendwie. Wäre leichter, wäre das Auto nur nicht so hoch und der Baum nicht so schwer. Also muss Lucas mal kurz die Kamera aus der Hand legen und mir helfen. Mit vereinten Kräften wird der Baum auf das Dach gehoben. Passt zum Glück gerade so von der Länge her. Auch Angela ist erleichtert. Sie erlebt oft, dass Kunden eine Tanne wählen, die zu groß für das Innere oder das Dach ihres Autos ist. „Dann hilft es nichts. Die Tanne bleibt erstmal hier – und die Kunden müssen mit einem größeren Auto wiederkommen“, schmunzelt Angela. Jetzt fehlen noch die Spanngurte, um den Baum am Dachgepäckträger zu befestigen. Festziehen, verknoten, nochmal überprüfen. Sitzt alles fest. Weiter geht’s.

Esther Acason und Angela Oelkers vom „Hof Oelkers“ in Wenzendorf netzen die drei Meter große Nordmanntanne mithilfe der Einnetzmaschine ein und befestigen sie mithilfe von Spanngurten an dem Dachgepäckträger auf dem Auto Dach von Lucas Wahls VW Bulli.

Lucas und ich machen uns auf den Weg in die Agentur, checken zwischendurch im Rückspiegel, ob der Baum noch sicher sitzt. Tut er. Haben also alles richtig gemacht. In der Agentur angekommen stellen wir die Tanne auf und merken: Vom Stamm muss – Lucas zählt die Jahresringe, unsere drei Meter hohe Tanne ist rund zwölf Jahre alt – noch ein gutes Stück ab. Decken doch nicht hoch. Nicht hoch genug. Also Säge raus, ansetzen und los geht’s. Bin ja schon ein richtiger Profi an der Säge. Dann endlich darf ich auch das Beil schwingen, damit der Stamm in unseren Weihnachtsbaumständer passt. Ich schlage vorsichtig mit dem Beil. Lucas drängelt etwas ungeduldig: „Mit mehr Kraft, dann kommen wir auch schneller voran“. Recht hat er. Und ich fühl mich wie ein echter Baumfäller, mit dem Beil in der Hand. Doch leider muss gar nicht so viel ab. Nur ein wenig die Seiten stutzen, dann den Weihnachtsbaumständer an den liegenden Baumstamm ansetzen. Passt.

Esther Acason, die ihren ersten eigenen Weihnachtsbaum gefällt hat, sägt ein Stück des Stamms ab und schlägt den Baumstamm der Nordmanntanne mit dem Beil zurecht, damit er in den Weihnachtsbaumständer passt.

Jetzt kann ich ihn endlich aufstellen. Meinen ersten selbst gefällten Weihnachtsbaum. Ich hebe ihn langsam hoch, immer weiter und merke wieder: Der ist echt richtig schwer. Lucas spornt mich lachend an: „Hast Du etwa nicht genügend Muckis?“ Das wirkt. Ich mache weiter – und die drei Meter hohe Nordmanntanne steht. Sieht schon mal super aus. Die Spitze berührt die Decke nur fast. Für einen Weihnachtsstern ist wohl kein Platz mehr. Doch Dekorieren wollen wir heute erstmal eh nicht. Dafür trommeln wir die Tage alle Kollegen zusammen und machen das gemeinsam. Mit Weihnachtsmusik. Es wird fantastisch werden.

Esther Acason stellt die selbst gefällte Nordmanntanne auf.

Das Netz muss noch ab. Dann prüfen wir, ob er wirklich fest im Weihnachtsbaumständer steht. Tut er. Dann die Wasserwaage dran halten. Gerade ist er auch. Perfekt. Zum Schluss schau ich noch, ob ich die Äste richten muss. Nicht wirklich, sie waren nur kurz im Netz eingezwängt und stehen von allein ganz natürlich. Dann zücke ich nochmal die Säge: Ein paar kleine Äste müssen unten noch ab, damit ich den Stamm im Weihnachtsbaumständer gut erreichen kann. Schließlich muss ich ihn regelmäßig wässern. Zwei bis drei Liter braucht eine Tanne dieser Größe in den ersten Tagen, hat Angela mir mit auf den Weg gegeben. Hab ich also doch mehr gelernt als nur mit Säge und Beil umzugehen.

Autorin Esther Acason präsentiert stolz ihren ersten selbst gefällten Weihnachtsbaum.

Ich freue mich und bin stolz. Atme den Duft der Tannennadeln tief ein und denke: Riecht doch viel besser als das Plastik-Bällebad. Weihnachtlich ist es hier auf jeden Fall. Und ich nehme mir vor: Nächstes Jahr fälle ich meinen eigenen Weihnachtsbaum. Dann vielleicht eine Nummer kleiner. Damit er auch in meine Wohnung passt.

Text: Ester Acason | Fotos: Lucas Wahl