Ikonen der Meere
Auf der Weserinsel Harriersand entwirft, schnitzt und restauriert Claus Hartmann Galionsfiguren für Segelschiffe und Jachten. Mit Kettensäge, Zahnarztbohrer und Skalpell. Der Schiffsbildhauer ist einer der Letzten seiner Art – sein Handwerk hat er sich selbst beigebracht.
Claus kommt aus einer Kapitänsfamilie aus Elsfleth. Sein Urgroßvater sammelte schon Galionsfiguren. Auf einem Schwarz-Weiß-Foto im Haus ist er mit wettergegerbtem Gesicht zu sehen. Claus’ Vater restaurierte die Figuren und kaufte das Bauernhaus auf Harriersand, das der Sohn heute mit seiner Familie bewohnt. Den Deichkranz, in dessen Mitte sich das Haus duckt, hat Claus selbst aufgeschüttet: Die Insel zwischen Bremen und Bremerhaven ist Sturmflutgebiet. Bei strammem Nordwestwind wird das Nordseewasser in die Weser gedrückt und überspült Europas längste Flussinsel. Vom niedersächsischen Ort Schwanewede aus führt die „Inselstraße“ an einer schmalen Stelle über den rechten Wesernebenarm – die einzige auf Harriersand. Kein Schild weist darauf hin, dass in einem der ersten Häuser zur Linken die letzten Galionsfiguren der Welt entstehen.
In der Ära der Großsegler legten Reeder noch Wert darauf, der Seele ihres Segel- oder Frachtschiffs ein Gesicht und einen Körper zu geben. In der Regel waren das Frauen, die den Horizont im Blick behielten, um Mannschaft und Ladung vor Meeresungeheuern und weltlichen Gefahren wie Stürmen oder Piraten zu schützen. Darauf zu verzichten bringe Unglück, glaubte man. In Zeiten von Containerriesen und Flugzeugen bilden Galionsfiguren eine aussterbende Spezies, in der sich aber auch eine besondere Liebe zur Seefahrt ausdrückt. Claus lässt sie buchstäblich Gestalt annehmen.
Text: Andrea Freund | Fotos: Bernd Jonkmanns