Herr der Damaszener-Klingen
Florian Stockinger schmiedet schon mit elf Jahren im Garten seine ersten Messer. Mit 22 hat er den Meisterbrief, und heute, mit nicht mal 30, faltet er perfekte Damaszener-Klingen, aus bis zu 360 Lagen Stahl.
In einer Ecke der Schmiedewerkstatt steht ein 200-Liter-Fass. Es ist randvoll und so schwer, dass man es mit Muskelkraft keinen Millimeter bewegen kann. „Mein Fass des Misserfolgs“, sagt Florian Stockinger mit einem Grinsen. „Es ist gefüllt mit verunglückten Messern, unsauberen Schneiden, Exemplaren mit Oxid-Einlagerungen im Metall.“ Er hält eines der Metallstücke in der Hand und streicht über die Kante. „Es sind Messer, mit denen ich nicht 100-prozentig zufrieden war.“ Über die Jahre landeten Tausende Teile im Fass. „Das geht alles zum Alteisenhändler. Für meine Messer ist das nicht mehr rein genug.“ Florian ist Perfektionist.
An diesem Wintertag heult ein Sturm durch den niederösterreichischen Ort Ernstbrunn. Durch die zentimeterbreiten Ritzen unter dem Holztor pfeift der Wind. Es ist eiskalt in der Schmiede, auch wenn in der Esse ein Kohlefeuer brennt. Florian starrt hoch konzentriert in die Flammen, mustert immer wieder den glühenden Eisenquader, den er ins Feuer geschoben hat. „Die Ofentemperatur muss ganz genau passen“, sagt der 28-Jährige, ohne die Augen vom rot glühenden Eisenpaket in der Steinkohle zu nehmen. „1200 Grad. Ist es auch nur eine halbe Minute 30 Grad heißer oder kälter; wenn das Paket verschmiedet wird, ist das Eisen nicht mehr zu gebrauchen.“ Denn dann verschmelzen die einzelnen Schichten nicht richtig, die Struktur des Messers wird porös bis brüchig.
Der perfekte Moment ist da. Florian zieht die Stange mit dem glühend heißen Stahl aus der Esse und trägt sie hinüber zu seinem mechanischen Lufthammer. Der „Bär“, also der Hammerkopf, der das Metall bearbeitet, kracht mit 250 Tonnen Druckkraft auf das elastisch gewordene Stahlpaket. Immer wieder. 30-, 40-mal. Der Betonboden der Schmiede bebt, das dumpfe Wummern überdröhnt sogar die Glocke der Dorfkirche, keine 50 Meter entfernt. Funken sprühen, es riecht nach Metall, Rauch hängt in der Luft. Florian blickt durch seine Schutzbrille auf den Stahlquader, aus dem acht bis zehn Messer entstehen werden. „Passt“, sagt er. Dann trägt er das bearbeitete Stück zurück zum Schmiedeofen und schiebt es erneut behutsam in die brennende Kohle, um es wieder auf Temperatur zu bringen.
Schmieden, schleifen, polieren, ätzen, Griff bauen und montieren. Der Weg zu einem Damaszener-Messer ist lang. Für ausgefallenere Exemplare braucht Florian 30 Stunden. Denn ein Damaszener-Messer ist kein normales Messer und Florian kein normaler Schmied. Er ist einer der ganz wenigen in Mitteleuropa, die Damaszener-Messer in höchster Qualität herstellen können. „Ich wähle aus 25 Stählen aus und baue dann ein Damast-Messer aus mehreren Lagen“, sagt Florian, meistens sind es Messer mit 360 Lagen. Und die entstehen so: Er nimmt beispielsweise fünf Stahlsorten, erhitzt sie und verschweißt sie zu einem Stück. Sechs solcher Stücke setzt er aufeinander und verschweißt sie dann aufs Neue. Das so entstandene 30er-Paket schweißt er mit einem weiteren 30er-Paket zusammen zu einem 60er-Paket. Zwei 60er zu einem 120er, zwei 120er zu einem 240er. Ein 240er und ein 120er bilden dann die 360 Lagen.
Diese verschmolzenen Lagen aus unterschiedlichen Stahlsorten bilden so schließlich eine Klinge, deren Schneidefläche am Ende gerade mal ein Tausendstel Millimeter dick ist. Das hat seinen Preis: Köche geben bis zu 3000 Euro für ein Messer von Florian aus. Aus gutem Grund: „Damast-Messer sind wesentlich belastbarer... Die elastischen Effekte durch die unterschiedliche Struktur wirken sich positiv auf die Schnittfähigkeit aus. Damaszener-Stahl ist langlebiger, und man muss das Messer nicht so oft schleifen. Das ist ein wichtiger Faktor, wenn man jeden Tag zehn, zwölf Stunden ein Messer in der Hand hat.“
Und sie sehen gut aus. Die Messer zeigen nach dem abschließenden Ätzen und Polieren ihre feine Lagenstruktur: geschwungene Formen aus feinen Linien. „Jedes Messer ist wie ein Fingerabdruck, absolut einzigartig und unverwechselbar“, meint Florian in einer Pause. Er trinkt einen Smoothie aus Algen, Banane und Heidelbeere; es ist die einzige Nahrung, die er während des Arbeitstags zu sich nimmt. „Ich kann bei der Arbeit nicht satt sein, dann leidet die Konzentration, und ich mache Fehler.“
„Ich hatte schon immer Stahl im Blut“, sagt Florian. Mit gerade mal 22 Jahren hat er seine Meisterprüfung abgelegt und war damit jüngster Schmied Österreichs. „Mit elf Jahren habe ich im Garten meiner Eltern Messer geschmiedet, weil die billigen Messer, mit denen wir Kinder gern schnitzten, so schlecht waren.“ Aus dem Müll rettet er ein altes Radialgebläse, um das Feuer anzufachen. Eine Eisenbahnschiene dient als Amboss. Eingeschmolzene Feilen, Baustahl und Schrott bilden den Rohstoff für seine ersten Klingen. „Ich bin jahrelang täglich gescheitert, dann irgendwann brachte ich gute Messer zustande.“ Sein Talent sprach sich in seiner Heimat schnell herum, etwa bei Jägern. Sie zählten zu den ersten Kunden. „Ich habe damals für ein Messer 300 Euro bekommen, ein Vermögen für einen 16-Jährigen.“
Florian hat nach der Schule Maschinenbau und Anlagetechnik studiert, dann parallel zum Zivildienst für die Meisterprüfung geschuftet. Anpacken konnte er schon immer. „Es gab viele 70- oder 80-Stunden-Wochen, aber es hat sich gelohnt“, sagt er heute. Mit dem Bild vom rußverschmierten Schmied, der mit purer Muskelkraft und einem mächtigen Hammer auf einen Amboss eindrischt, hat Florians Passion weniger zu tun. Er hämmert schon noch selbst, aber das meiste übernehmen Maschinen. Ein Federhammer in der Ecke seiner Schmiede stammt aus dem Jahr 1902.
Jeden Tag fährt der Wiener die 45 Kilometer zu seiner Schmiede. Er hat sich eine 100 Jahre alte ehemalige Eisengießerei gemietet und hergerichtet. „Eigentlich habe ich fast alles selbst gebaut“, sagt er, „es soll ja auch passen, und nur ich weiß, wie es für mich passt.“ Er schüttet 30 Tonnen Beton in das Fundament seines Lufthammers, konstruiert maßgeschneiderte Maschinenteile, Halterungen für die Hammergesenke, baut den Schmiedeofen und entwirft zwei eigene Schleifanlagen. Anfangs macht er alles: Jagdmesser, Bowie-Messer, Samuraischwerter. Inzwischen hat er sich spezialisiert. Auf Kochmesser. „Für mich ist das die Königsklasse.“
Messer schmieden und kochen haben einige Parallelen, findet Florian. Wie ein Koch muss auch Florian Zutaten und Zubereitungsarten kombinieren und so komponieren, dass ein Spitzenprodukt herauskommt. Er spricht von einem „Rezept“ der Stahlsorten, die er verwendet. Wie hoch ist der Gehalt an Kohlenstoff? An Chrom, Nickel, Wolfram oder Molybdän? Beim Schmieden wie beim Kochen kommt es außerdem auf exakte Temperaturen und den richtigen Zeitpunkt an. Beides ist ein Mix aus Kreativität, Improvisation, Handwerkskunst und Erfahrung. Und am Ende muss das Ergebnis auch optisch überzeugen.
Es klingelt an der Tür. Ein Lieferant bringt einen neuen 150-Kilo-Amboss. Florian hilft beim Entladen und strahlt: „Die Hauptarbeit mache ich zwar mit dem mechanischen Hammer, aber für die Feinarbeit braucht ein Schmied natürlich einen Amboss.“ Letztlich macht das eigentliche Schmieden nur ein Drittel seiner Arbeitszeit aus, oft sitzt Florian dagegen wochenlang da und schleift die Klingen, bis sie perfekt sind. Darum spricht Florian auch oft nicht vom „Messerschmieden“, sondern vom „Messerbauen“.
An der Werkstattwand hängen Hunderte Schleifbänder verschiedener Körnung. Die drei Meter lange Schleifmaschine surrt. Florian drückt die Klinge an das Schleifband mit 120er-Körnung. Funken spritzen, wenn Klinge und das rasende Band sich berühren. Staub schwebt in der Luft.
Schon im Grobschliff arbeitet der Schmied auf die richtige Keilform hin, auf den Winkel zwischen zwölf und 15 Grad. Immer wieder fährt er mit dem Daumen über die Klinge, erspürt den feinen Grat, der sich durch den Druck aufgeworfen hat. Dann dreht er das Messer und schleift die andere Seite. Stunden geht das so. „Am Ende ist das nicht mehr Millimeterarbeit, sondern Mikrometerarbeit.“ Wird das Messer beim Schleifen zu heiß, drohen Verfärbungen, die die ganze bisherige Arbeit wertlos machen. Die typischen Damast-Formen werden verwaschen. Das Messer wandert ins Fass des Misserfolgs. Höchste Konzentration also. Eine leicht falsche Bewegung, und es kommt zu Kapillarfehlern oder winzigsten Rissen.
Florian macht sich an den Griff. „Ich habe die besten Erfahrungen mit Mooreichenholz oder Ringed-Gidgee-Totholz aus der australischen Wüste“, sagt Florian und zeigt auf Holzblöcke in einem Nebenraum der Schmiede. „Wichtig ist, dass das Holz möglichst lange nicht in Kontakt mit Sauerstoff war. Am besten 500 Jahre und länger.“
Ist das Holz ausgewählt, bohrt Florian ein Loch in den Holzblock und passt die Klinge darin genau ein. Dann kann er den Griff in eine ergonomische Form schleifen. Endkappe drauf, noch mal nachschleifen und dann: mehrere Tage lang die Oberfläche mit Baumharz behandeln. Schließlich sind die Messer im Einsatz höchsten Belastungen ausgesetzt: Feuchtigkeit, Säuren, Licht, Temperaturschwankungen.
Dann wendet sich Florian noch mal der Klinge zu. „Metall ist ein unglaublich faszinierendes Material“, sagt Florian, während er an seiner Poliermaschine steht. „Es kann magnetisch sein oder nicht, flüssig oder fest, es kann rosten oder rostfrei sein. Es gibt Millionen mögliche Legierungen. Und Messer sind das älteste Werkzeug des Menschen.“ Er zeigt auf das Fass mit seinen missglückten Messern. „Metall verzeiht keinen Fehler, gerade das ist auch die Herausforderung. Aber arbeitet man fehlerfrei, hat man ein Messer, das ein Leben lang Freude bereitet – sogar über Generationen hinweg.
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Weitere Infos zu Florians Messern und seiner Manufaktur findet ihr hier.
Text: Stefan Wagner | Fotos: Frank Bauer