Ein kleines Ladengeschäft im Hamburger Stadtteil Altona. Laufkundschaft verirrt sich kaum in die vom Autoverkehr geplagte Durchgangsstraße. Aus dem Grau der Straße tritt man ein in ein glitzerndes Reich kostbarer Silberwaren: Das Metall glänzt, sorgfältig dekoriert, poliert und ausgeleuchtet. Neue und antike, dekorative und nützliche Gegenstände werden hier stolz präsentiert und verkauft, darunter Kannen, Schalen und Besteckteile, Tafelaufsätze und Leuchter. Versilbert wurden die antiken Stücke alle von Maxi Hänsch, Geschäftsführerin und Galvaniseurmeisterin der Altonaer Silber Werkstatt, und ihrem Team.

Das Werkstatt Team der Altonaer Silber Werkstatt: Fabian, Kristof, Maxi und Marcel (von links nach rechts, nicht im Bild: Martje).
Das Werkstatt-Team am Ort des Geschehens: Fabian, Kristof, Maxi und Marcel (v.l.n.r., nicht im Bild: Martje).

Die 39-Jährige strahlt zur Begrüßung übers ganze Gesicht. Man merkt: Hier ist sie in ihrem Element. Bewegt sich selbst in klobigen Sicherheitsschuhen schnell und selbstbewusst durch ihre Werkstatt. Die erstreckt sich hinter dem Laden in mehreren Räumen über das Erdgeschoss eines Flachbaus. „Pingelig aufgeräumt“ ist es nicht gerade, eher „intensiv genutzt“. Hier arbeiten Gold- und Silberschmiedin Martje, Silberschmied Marcel mit dem Auszubildenden Kristof, Messerschmied Fabian und die Meisterin selbst. Oft alle nebeneinander an einer langen Werkbank. Es wirkt vertraut und eingespielt, wie da mehr oder weniger ramponierte Stücke von einer kundigen Hand in die andere wandern. Schritt für Schritt zurück zum Glanz vergangener Tage.

Werkstatt und Laden, Traditionsunternehmen seit 1877, gehörten einst Friedhelm Hänsch, Maxis Vater. Nach seinem plötzlichen Tod mit gerade mal 53 Jahren übernahm Maxi 2010 beides. Musste übernehmen. „Wir hatten zwar vereinbart, dass ich eines Tages seine Nachfolge antrete. Aber ich war nicht darauf eingestellt, dass alles so schnell geht“, berichtet sie. Von einem Tag auf den anderen war sie verantwortlich für Laden und Werkstatt, fünf Angestellte und einen Auszubildenden, hatte einen frischen Meisterbrief in der Tasche und ein abgebrochenes Studium der Betriebswirtschaft. „Ohne mein Team“, das sie auch als „Familie“ bezeichnet, „hätte ich das nicht geschafft.“ Genauso ist die Atmosphäre in der Altonaer Silber Werkstatt: familiär. Man verlässt sich aufeinander, ergänzt sich, arbeitet zusammen.

Heute wird Besteck aufbereitet: ein Tafelmesser, die Klinge stumpf, die Silberbeschichtung fleckig. Ein Auftrag wie viele andere, und doch ist die Arbeit jeden Tag anders. „Ich liebe genau das“, sagt Maxi, „dass jedes Stück seine Geschichte hat, genau angeschaut werden muss, damit wir ihm gerecht werden.“

Maxi Hänsch

Manchmal fließen bei Kunden Freudentränen, wenn ein Stück aus Kindertagen, lädiert auf dem Dachboden der Großeltern entdeckt, frisch versilbert über den Tresen gereicht wird. Wenn eine alte Schale wieder so glänzt wie damals, als Oma daraus Bonbons verteilt hat. Maxi poliert auch Erinnerungen wieder auf.

Doch bis dahin dauert es noch etwas. Beispiel Tafelmesser. Erst ist Messerschmied Fabian dran: „Welches Material? Wie sind Heft und Klinge verbunden? Wenn ich das weiß, kann ich beginnen.“ Er trennt das silberne Heft – den Messergriff – mithilfe einer großen Lötlampe von der alten Stahlklinge. Auslöten heißt das. Die Stahlklinge wandert ins Altmetall. Restauriert wird nur das Heft. Silberschmied Marcel übernimmt die hohle Hülle. Er befreit sie von Lotresten und ihrer Sandfüllung, die dafür sorgt, dass das Messer schwer, aber nicht zu schwer in der Hand liegt. Er verlötet die Nahtstellen neu, sodass kein Wasser mehr eindringen kann. „In aller Regel verlässt das restaurierte Besteck die Werkstatt spülmaschinenfest“, erklärt er, denn nur so wird Silberbesteck heutzutage noch täglich benutzt. Die Lotreste werden von Hand abgeschliffen. Dann ist Messerschmied Fabian wieder dran. Er hat inzwischen eine neue Klinge ausgewählt, die er nun mit dem Heft verlötet. Zuvor hat er es neu mit Sand befüllt – normalem Spielsand übrigens.

Nun ist Maxi als Galvaniseurmeisterin bei der Restaurierung des Tafelmessers dran. Der Silberüberzug, der Glanz: Das ist ihr Metier. Galvanisieren nennt man den Vorgang, bei dem metallische Überzüge mithilfe von elektrischem Gleichstrom abgeschieden werden. Mit dieser Technik, im 19. Jahrhundert erstmals handwerklich genutzt, lassen sich feinste Metallschichten auf Gegenstände wie Münzen, Schmuck oder Besteck aufbringen. „Es gibt in Deutschland nur noch eine Handvoll Betriebe, die dieses Handwerk beherrschen, vielleicht fünf oder sechs, die meisten in Süddeutschland“, sagt Maxi. Ihre Galvanik befindet sich in einem Nebenraum der Werkstatt und nimmt etwa noch einmal dieselbe Fläche ein wie alle anderen Arbeitsplätze zusammen. An den Längsseiten der Halle stehen Wannen, groß wie Müllcontainer, gefüllt mit verschiedenen Säuren und Reinigungslösungen. Das Messer wird nacheinander darin eingetaucht. Erst wenn es vollkommen fettfrei und sauber ist, geht es an den wichtigsten Arbeitsgang: das Galvanisierbad. Es wird chemisch – und riecht auch so. Im Zug der brummenden Entlüftungsanlage steht Maxi und taucht das Messer – mit Kupferdraht als Minuspol des elektrolytischen Bades – ins Wasser, in dem am Wannenrand Silbergranulat am Pluspol befestigt ist. Je nachdem, wie viel Strom Maxi wie lange durchs Wasser jagt, löst sich das Silber in der gewünschten Menge vom Pluspol und setzt sich Teilchen für Teilchen, Schicht um Schicht, hauchdünn auf dem Messer ab. Damit alles schön gleichmäßig wird, schwenkt ein Automat das Werkstück sanft hin und her.

Maxi Hänsch

Nach dem Bad ist das Messer fein versilbert und „fit für die nächsten 50 Jahre im Gebrauch“, prophezeit Maxi. Dank der Altonaer Silber Werkstatt können Gegenstände, die sich oft seit Generationen in Familienbesitz befinden, wieder benutzt und weitergegeben werden. „Wir bearbeiten jeden Gegenstand so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig“, erläutert Maxi. Die Herausforderung wie bei jeder Restaurierung: nichts Unersetzliches zerstören. „Wir behüten Erinnerungen und sind entsprechend vorsichtig“, erzählt sie weiter und zeigt einen antiken Tafelaufsatz, Teil eines Prunkgeschirrs aus dem späten 19. Jahrhundert – ein unverkäufliches Stück ihrer Sammlung. „An diesem Tafelaufsatz hänge ich besonders. Mein Vater und ich haben ihn gemeinsam restauriert, während ich in seinem Betrieb ausgebildet wurde. Es ist eines meiner kostbarsten Erinnerungsstücke an ihn.“

Fertig ist das Messer aber noch nicht: Es fehlt die Politur. Auch die nimmt die Meisterin selbst vor. Ihr Ziel: nicht alle Spuren der Vergangenheit komplett zu verwischen und dem Stück dennoch neuen Glanz zu verleihen. Wenn das Auge des Laien längst signalisiert „Fertig, glänzt astrein“, findet Maxi immer noch hier und da eine Spur, die sie vorsichtig bearbeitet. Und, fertig? „Nicht so ungeduldig“, lacht Fabian, der den letzten Arbeitsgang, den Wellenschliff der Klinge, übernimmt. Der Messerschmied sitzt mit ruhiger Hand am rotierenden Schleifblock. Ein prüfender Blick: „Passt!“, sagt er und lächelt zufrieden.

Die letzten Arbeitsschritte: Maxi poliert das Tafelmesser auf Hochglanz, Messerschmied Fabian verpasst ihm an seinem Schleifblock den sogenannten Wellenschliff, damit es wieder schneidet.
Letzte Arbeitsschritte: Maxi poliert das Tafelmesser auf Hochglanz, Messerschmied Fabian schleift die Klinge.

Maxi nimmt die Verantwortung für Tradition ernst, geprägt von dem handwerklichen Qualitätsverständnis ihres Vaters. Und schaut mit klarem Blick nach vorn. Geschäft und Werkstatt, die jetzt schon voneinander profitieren, sollen auch in zehn oder 20 Jahren bestehen. „Wenn die Generation, denen Silber noch etwas bedeutet, ausstirbt, müssen wir neue Geschäftsfelder aufgetan haben“, sagt Maxi. Die hochwertigen Stücke aus dem Laden kommen zur Reparatur oder zum Schleifen zurück in die Werkstatt, der Laden wird ergänzt durch einen stetig wachsenden Online-Shop. Das Sortiment passt sie laufend an, das Team ist mit kreativen Ideen beteiligt. So hat Fabian während der Ladenschließung im pandemiebedingten Lockdown im Frühjahr 2020 seine Vision von Lanyard-Beads verwirklicht, geschliffenen Metallperlen aus Titan, die an einem Anhängerband etwa am Taschenmesser oder Schlüsselbund getragen werden. Die Devise: Neues wagen, ohne das Alte zu vernachlässigen.

Text: Katrin Viertel I Fotos: Charlotte Schreiber