Die schwimmende Werkstatt
Thomas Grögler ist Bootsbauer. Seine Werkstatt: ein alter Frachtkahn auf der Donau. Das Entrümpeln: Heidenarbeit. Die Einbauten: Maßarbeit.
„Oha, was eine Sauerei!“ Thomas Grögler blickt hinab ins Innere von Frachtkahn Nr. 10065, der am Donauufer nordwestlich von Wien liegt. Er atmet tief durch: Splissige Holzlatten, kaputte Türen und Türstöcke, teils lackiert, die Farbe abgesplittert, alte Kühlschränke und verrostete Schiffsteile türmen sich im Frachtraum wild über- und untereinander. Es sieht aus, als hätte eine Flutwelle die Teile angespült und im Kahn mit Wucht zusammengeschoben. Zwei Meter hoch, auf 120 Quadratmetern. Ihm ist, als hörte er noch das Holz bersten. Was ist das, fragt er sich: eine Art Brennholzlager? Niemand weiß es. Ein anderer hätte in diesem Moment die Luke an Deck gleich wieder zugeschoben und aufgegeben. Der gelernte Schreiner aber ahnt, dass erst einmal monatelanges Entrümpeln auf ihn zukommt, bevor er sein Projekt starten kann. Eine schweißtreibende „Drecksarbeit“, sagt er: „Ich bin Handwerker, so was mache ich seit 30 Jahren. Man muss nur durchhalten, das tut jeder, der ein Ziel hat!“
Der spontane Entschluss
Thomas ist schon seit Jahren auf seinem „Hausboot“ daheim: der „Frøyd“, einem entkernten und von ihm komplett neu eingerichteten kleinen Segler, der im stürmischen Nordmeer an der südnorwegischen Küste als Rettungsboot Dienst getan hat. Eines Tages schippert er damit die Donau stromaufwärts, auf der Suche nach einem Liegeplatz. Unterhalb der 1000 Jahre alten Burg Greifenstein, im „Donauknie“ und geschützt von einer Sandbank, sieht er plötzlich den alten Frachtkahn. Nur eine Nummer, einen Namen hat er nicht. Ein schwankender Eisensteg verbindet ihn mit dem Ufer, mit seinem behäbigen Leib liegt er einfach nur da. Interessant! Wär das nicht auch was für ihn?
Man muss nur durchhalten, das tut jeder, der ein Ziel hat!“
Thomas Grögler
Das Binnenschiff, 1957 in Betrieb genommen, ist der letzte noch vorhandene Schleppkahn auf der Donau, ausgemustert Ende der Sechzigerjahre, als die moderneren Schubverbände aufkamen. Er gehört den „Freunden historischer Schiffe“ in Wien. Thomas tritt dem Verein bei. Der Plan: Er will den Laderaum komplett ausräumen, flottmachen und eine Werkstatt darin einrichten, in der er seine Boote bauen kann. Filigrane Kanus und Kajaks. Wie das geht, das hat sich Thomas selbst beigebracht. Nun liegt er mit seiner türkisfarbenen „Frøyd“ an der Steuerbordseite des Frachtkahns, verbringt die Nächte auf seinem Ein-Mann-Schiff, die Tage im Bauch des 110 Meter langen Binnenschiffs.
Geduld und Ausdauer
Alte Hose, Hemd, feste Arbeitshandschuhe, Matrosenwollmütze, so steigt er unzählige Male ab in den Müll und Schrott, der sich ihm hartnäckig entgegenstemmt. Andere Vereinsmitglieder packen mit an, klotzen ran, misten mit aus, die Männer schwitzen, tragen Masken, um den aufgewirbelten Staub der Jahrzehnte nicht einzuatmen. Sie schleppen die letzte „Fracht“ von „10065“ zu immer wieder neu georderten Abfallcontainern an Land und werfen sie krachend hinein. Der Rücken tut ihnen weh, die Knie, Schultern, Arme, sie haben Schwielen an den Händen. Rückblickend sagt Thomas: „Das Wegschmeißen war das Zäheste!“
Irgendwann stoßen er und seine Mitstreiter tatsächlich „auf Grund“, haben die unebenen Holzdielen vor sich, auf denen das Schiff Schüttgut wie Kohle, Erz oder Kies auf dem Fluss transportierte. Ein Wendepunkt. „Jetzt geht die ganze Aufbauarbeit los“, grinst Thomas. „Es ist im Leben doch immer so: Der Müll muss weg, danach geht’s aufwärts!“
Der Werkstattbau
Aus dem Baumarkt karren die Männer Spanplatten für den Boden der Werkstatt herbei, Thomas verbringt Stunden auf den Knien, die Handkreissäge kreischt auf, als er die Platten zuschneidet. Kleine Späne fliegen umher. Sorgfältig verzahnt er Nut und Feder, trägt noch Leim auf und bohrt mit dem Bohrer Löcher rein, um die Platten zusätzlich miteinander zu verbinden. Gelernt ist gelernt. Manchmal braucht es einen Hieb mit dem schweren Hammer, damit sie passgenau anliegen. Jetzt kommt die Kabelage für die Elektrik. Monate vergehen, bis er mit Kollegen vom Schiffsverein alle Leitungen für Steckdosen und Lampen verlegt, bis die Solarpaneele an Deck montiert sind, und Thomas seine Bohrmaschine, Schraubenzieher und Zange nicht mehr dafür braucht, alles überhaupt erst funktionstüchtig zu machen.
Dann geht’s wieder in den Baumarkt: Tischplatten kaufen für Werkbänke, auf denen er, nach all der groben Arbeit, seine wendigen Boote bauen kann. Wieder jault die Handkreissäge, das Echo hallt laut von den leeren Wänden im Schiffsbauch wider, dann bringt Thomas die Platten auf alten Tischgestellen an, die er aus Haushaltsauflösungen beschafft. „Viel von dem Material für die Werkstatt ist recycelt.“ Im September 2019 ist es schließlich so weit: Die Werkstatt kann in Betrieb gehen. Und der leere, hergerichtete Hohlraum des Frachtkahns ist nicht nur mit seinen vier Meter Höhe ideal für Thomas’ Bedürfnisse.
Arbeitshöhle auf dem Wasser
„Vor meinem inneren Auge hatte ich es genau so gesehen“, erzählt Thomas. „Ein großer freier Raum ohne Stützen mit viel Platz, perfekt für den Bootsbau!“ Hier kann er im Trockenen arbeiten, solange es nicht zu kalt oder zu heiß ist. Sind die Luken an Deck geöffnet, die Alu-Paneele, kommen Licht und Sonne rein, aber kein Wind. „So lässt es sich gut arbeiten“, schwärmt Thomas, „das kann ich nur empfehlen.“ Zumal diese „Werkhöhle“ viel günstiger ist als eine entsprechend große Halle: „Als Verein könnten wir uns keine separate Werkstatt leisten.“ Und weil die Donau als Binnengewässer kaum Wellengang hat und der Kahn eher breit als hoch ist, spürt man die Bewegung des Flusses an Bord nicht wirklich. Größere Veränderungen aber haben Thomas und seine Helfer nicht vorgenommen: Nr. 10065 steht unter Denkmalschutz. Morgen schon könnte wieder Kohle eingefüllt werden. Aber besser nicht …
Der Werkstattkahn in Zahlen:
- Alter des Kahns: 64 Jahre (1957)
- Bauzeit für die Werkstatt: 2018 bis September 2019
- Werkstattgröße: 120 Quadratmeter
- Werkstatthöhe: 4 Meter stützenfrei
Text: Andrea Freund | Fotos: Thomas Grögler
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