Nachhaltig leben – das wollen immer mehr. Dass man auch nachhaltig bauen kann, wissen noch nicht viele. Hier kommt Kerstin Mayer ins Spiel, Architektin und Nachhaltigkeitscoach aus Stuttgart. Was genau ihr Job ist, was sie motiviert und wie man umweltbewusst baut, erklärt sie im Interview.

Kerstin Mayer: Ich helfe Menschen dabei, den Weg in ein nachhaltigeres Leben zu finden. Durchs „Coaching“ lernen Menschen vor allem, selbst die Lösung zu finden. Ich sage nicht „Tu dies, tu das!“, denn die Lösung für ein Problem ist in meinem Gegenüber meist schon angelegt. Ich helfe dann, Lösungsansätze und Wege zu finden, nachhaltiger zu leben. Ich unterstütze sie dabei, weniger Müll zu produzieren und den ökologischen Fußabdruck zu verringern.

Im Internet kann man sehr einfach berechnen lassen, wie nachhaltig das eigene Leben ist. Du beantwortest ein paar Fragen, und der Rechner ermittelt den Wert. Der eigene Ressourcenverbrauch wird in Tonnen angegeben. Das reicht von Stein und Beton, die in einem Haus verbaut sind, bis zu dem, was ich konsumiere. Im Durchschnitt verbraucht jeder von uns 40 Tonnen CO2 pro Jahr. Das ist viel, denn der Zielwert für 2030 liegt bei 17 Tonnen. So bliebe die Welt im Gleichgewicht. Und: Wir könnten unseren CO2-Verbrauch schon durch leichte Änderungen im Verhalten senken.

Auf jeden Fall. Wer den Neubau eines Wohngebäudes plant, sollte genau überlegen, was benötigt wird. Der Flächenverbrauch pro Kopf ist enorm gestiegen, also muss man sich fragen: Wie groß soll meine Wohnfläche sein, und wie flexibel bin ich? Sind die Kinder erwachsen und ziehen aus, könnten Eltern überlegen, wieviel Wohnfläche sie tatsächlich brauchen. Sie könnten in eine kleinere Wohnung ziehen und einer jungen Familie den Platz überlassen. Oder das Gebäude so umbauen, dass weitere Personen einziehen können.

Kerstin Mayer

Nachhaltigkeit heißt, nur so viel aus der Natur zu entnehmen, dass man nachkommenden Generationen nicht schadet. Also nur so viel, wie nachwächst. Das ist vor allem beim Bauen meist nicht der Fall. Beim Bauen und Wohnen wird zu viel Energie verbraucht. Deshalb sollte man darauf achten, welche Materialien genutzt und welche Energiequellen verwendet werden.

Holz, ganz klar! Viele denken da zuerst an die Holzständerbauweise, bei der Leerflächen zwischen den Balken anschließend „gestopft“ werden. Solche Leichtbau-Wohnhäuser sind in Deutschland aber nicht sehr beliebt. Man will lieber etwas Massives, das bleibt. Also rate ich zu Massivholzbauweise, die ist auch sehr nachhaltig. Der Vorteil: Pro Kubikmeter Holz entzieht man der Atmosphäre rund eine Tonne schädliches CO2 – und spart die Emission von circa einer Tonne CO2 in der Betonproduktion. Resultat: zwei Tonnen CO2 je Kubikmeter Holz. Ein großes Plus! Wer Holz verbaut, nimmt einen Teil des CO2 aus der Atmosphäre. Es „lagert“ praktisch im Haus, treibt nicht den Klimawandel an. Und: Holz wächst nach, Beton dagegen wird extrem energieaufwendig hergestellt.

Bei Beton wird das gerade diskutiert. Dafür muss aber viel neuer Zement beigemischt werden. Das lässt die Energiekosten schnell wieder steigen. Wer unbedingt eine Klinkerfassade möchte, kann schauen, ob ein Ziegelwerk Ausschussmaterial anbietet – so tut man gleich etwas für die Entsorgung.

Lehm und Stroh erleben als Baustoffe eine Renaissance, das ist fast schon ein Hype. Strohballen sind wegen der vielen Lufteinschlüsse eine prima Wärmedämmung, sie werden anschließend mit Lehm verputzt. Das ist ein natürlicher Werkstoff, super nachhaltig. Materialien, die sich gut recyceln lassen oder sogar kompostierbar sind, bilden derzeit aber noch die Ausnahme.

Schwierig wird es immer dann, wenn etwas verklebt wird, man also einen Verbund verschiedener Materialien schafft. Lassen sich Materialien nicht trennen, wird Entsorgung oft kompliziert. Bei Sanierung oder Abriss hat man dann einen riesigen Berg Sondermüll. Wer eine Styroporplatte an die Außenwand klebt, sollte überlegen, wie das nachhaltiger geht – und schon an die Entsorgung denken. Styropor mag günstiger und schnell eingesetzt sein, doch seine Umweltbilanz ist eine Katastrophe.

Das wäre ideal. Ich hoffe, dass wir in Zukunft den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes betrachten, von der Bauphase über das Wohnen bis zur Entsorgung. Der Wärmeschutznachweis etwa betrachtet Energieverbrauch und Heizaufwand nur während des Wohnens. Besser wäre, sich die gesamte Lebensdauer anzuschauen: Bauen inklusive Materialbeschaffung, Wohnen und Entsorgungsbilanz.

Ja. Bei Neubauten sind Fachleute für Bauphysik wichtig. Wie muss eine Wand gebaut sein, damit ein Gebäude gut gedämmt und nicht zu feucht ist? Auch der Lebenszyklus eines Gebäudes ist wichtig. Die meisten Gebäude werden irgendwann abgerissen oder umgebaut. Produkte, die verbaut werden, sollten hochwertig und lange nutzbar sein, um sie wieder instand setzen zu können. Ein Echtholz-Parkett mit beschädigter Oberfläche etwa kann man meist sehr gut reparieren. Wer Laminat verlegt, wird es nach zehn, fünfzehn Jahren komplett erneuern und dann komplett entsorgen müssen. Beim nachhaltigen Hausbau sollte man jedes Bauteil, jeden Baustoff einzeln durchgehen und überlegen: Wie lange wird es halten? Wie kann ich es später entsorgen? Am besten wäre es, wenn sich Häuser „zero waste“ abbauen ließen, mit wenig Abfall. Ideal wäre, sie quasi auf den Kompost schmeißen zu können, damit sie auf natürlichem Wege verrotten. In diese Richtung muss es gehen. Optimal wäre, dass aus kompostierbarem Material eines Hauses Bäume wachsen, deren Holz man für einen Neubau nutzen kann.

Ein wichtiger Faktor ist die Energieversorgung: Heizung, Warmwasser, Kühlung im Sommer. Hier sollte man gute Technik nutzen. Nehmen wir die Pelletheizung: Pellets bestehen aus Holzabfällen, die sowieso anfallen. Sie sind effizient, wenn sie im Keller kontrolliert verfeuert werden. Im Holzofen dagegen geht viel Wärme durch den Schornstein, trägt also nicht zum Heizen der Räume bei. Nehmen wir den Fassadenbau: Man kann eine lichtdurchlässige zweite Schicht aus Glas oder Doppelstegplatten vor die Fassade setzen. Durch Sonneneinstrahlung erwärmt sich im Hohlraum Luft, die nach oben steigt. Sie wird ins Haus geleitet und dort in Decken oder Böden verteilt: eine perfekte Fußboden- oder Wandheizung, bei der man kaum noch zuheizen muss. So spart man Energie, die sonst aus fossilen Energieträgern käme.

Den ökologischen Rucksack leichter machen: Für Kerstin Mayer, Nachhaltigkeitscoach und Architektin aus Stuttgart, ist das die Aufgabe unserer Generation.
Den ökologischen Rucksack leichter machen – für Kerstin die Aufgabe unserer Generation. ©olegkoval AdobeStock

Das Öko-Thema begleitet mich bereits mein ganzes Leben. Ich habe schon als Kind Unterschriften gesammelt, etwa gegen den Walfang. Ich habe da schon das Gefühl gehabt, dass wir auf unsere Welt aufpassen müssen. Ich achte sehr darauf, meinen Müllverbrauch zu reduzieren. Als vor zehn Jahren mein erstes Kind auf Welt kam und vor zwei Jahren mein zweites, hat mich das sehr angespornt. Ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, unsere Welt jetzt zu schützen und nicht erst in zehn Jahren. Damit unsere Kinder später keine Probleme haben, ein gutes Leben zu führen. Kein Leben im Luxus, sondern ein Leben in Sicherheit, mit genügend Essen und einem Dach überm Kopf.

Kerstin Mayer

Mir ist klar geworden, dass das, was jeder von uns beruflich tut, große Auswirkungen auf die Welt hat. Ich möchte die Energie, die ich beruflich einsetze, auch für das Ziel verwenden, das ich in mir trage: eine gute Zukunft für unsere Kinder. Deshalb lautet mein erstes Etappenziel: Innerhalb der nächsten fünf Jahre will ich 1000 Menschen dazu verholfen haben, ihr Leben nachhaltig zu gestalten.

Interview: Esther Acason, Catharina König / Foto: Julia Zürn