Die Mini-Jacht
Riesending: Klaus Steinlein hat einen berühmten Zweimastsegler nach historischen Plänen gebaut – allerdings im Maßstab 1:4. Fast zehn Jahre hat er für seine Mini-Jacht gebraucht. Seitdem segelt er mit ihr wie mit einer großen.
„Ich hatte seit meiner Schulzeit die Vision, mit eigenen Händen ein kleines Schiff zu bauen, das mich übers Wasser trägt“, erinnert sich Klaus Steinlein. Schon als Kind hatte er den Modellbau für sich entdeckt. Später lernte er das Segeln. Beinahe logisch, die beiden Leidenschaften zu verbinden. „Die Schiffe, die da gerade in Mode waren, fand ich aber zu normal. 1981 fand ich dann bei einer Norwegenreise ein Buch über Colin Archer. Der Norweger ist eine Schiffskonstrukteurslegende: Er baute um die Jahrhundertwende Jachten, vor allem Rettungs- und Lotsenboote, die für ihre Seetüchtigkeit berühmt und zum Teil heute noch im Einsatz sind“, erzählt Klaus. In diesem Buch entdeckte er die Vorlage für sein Projekt: ein von Archer weiterentwickeltes Rettungssegelschiff, im Maßstab 1:4. Der vielleicht kleinste Zweimaster, den es im Land überhaupt gibt und mit dem Klaus heute den Bodensee besegelt.
Der Weg bis dahin war lang, um genau zu sein: zehn Jahre von seinem Entschluss bis zum Moment, als er sein Schiff erstmals zu Wasser lassen konnte. Beim Norsk Maritimt Museum in Oslo bestellte Klaus Pläne für das Schiff, das war in den 1980er-Jahren und lief alles noch per Brief. 14 Tage später lagen die Pläne auf seinem Tisch. Dort entstand die Miniaturversion des Boots vom Typ Solli auch erst einmal auf dem Papier im Maßstab 1:20 zum Original. Das Schiff selber baute er im Maßstab 1:4 zum „echten“ Colin Archer.
Die Pläne waren das eine – wenn sein Mini-Schiff auch segelbar sein sollte, musste Klaus, damals Student der Luft- und Raumfahrttechnik in München, noch ein bisschen knobeln, etwa was Ballast und Gewichtung angeht. „Ich wusste: Mein Gewicht beeinflusst bei meinem Boot die Verdrängung stärker als die der ganzen Crew auf der Originaljacht. Also habe ich das Schiff am Zeichentisch noch mal 1:10 gezeichnet, mir dann ein Pappmännchen mit beweglichen Gliedern gebaut und damit herumprobiert“, erzählt Klaus und zeigt auf die Zeichnung: „Da wusste ich irgendwann, mit um die 80 Kilogramm, da ist genau hier der Schwerpunkt.“
Über ein Praktikum hatte Klaus Zugang zum praktischen Flugzeugbau. Hätte er das Boot auch als Nicht-Techniker bauen können? „Einige Formeln haben mir schon geholfen, aber das könnte im Grunde jeder, wenn er sich sehr gut vorbereitet und informiert.“
Apropos Vorbereitung: Um die Linien seiner Pläne auf den richtigen Maßstab zu vergrößern, ließ er Dias machen, die er an die Garagenwand projizierte – „das war damals noch bei meinen Eltern“. Im nächsten Schritt baute Klaus nach den Zeichnungen in der zur Mini-Werft umgewidmeten Garage ein Urmodell in der Originalgröße des jetzigen Boots, „aus günstigen Fünf-Millimeter-Leisten“.
Das Modell wurde gespachtelt, geschliffen und mit Trennmittel behandelt. Daraufwurde zuerst ein schwarzes Oberflächenharz aufgebracht. „Auf die Schicht habe ich mit Polyesterharz Glasfasermatten und ein spezielles Kernmaterial, das einen schnellen Aufbau von Wandstärke ermöglicht, auflaminiert.“ Dabei wurde zuerst die linke Formseite gegen eine mittige Trennfläche hergestellt, nach deren Aushärten dann die rechte Hälfte der Form. So entstand eine geteilte GFK-Negativform: „In etwa wie eine Kuchenform“, erklärt Klaus.
Viel Arbeit war das, zumal für einen allein – studieren musste Klaus ja auch noch. „Das zog sich ein paar Jahre hin, auch aus Mangel an Zeit, Geld und teilweise auch Platz“, erinnert er sich. Zwischenzeitlich musste er das Urmodell bei einem Bootsbauer auslagern, der es dann aus Platzmangel einfach vor die Tür stellte. Der Witterung ausgesetzt, war es so nicht mehr brauchbar. „Also habe ich alles nachgearbeitet.“ Ein Rückschlag, aber Klaus blieb dran.
Und als er von München nach Seefeld am Ammersee gezogen war und seine Vermieter für ein Jahr verreisten, konnte er deren Garage nutzen. In wenigen Monaten baute er nach der jahrelangen „Vorbereitung“ dort das eigentliche Boot, inklusive Innenausbau und Masten. Dass es dann schnell ging, lag auch daran, dass er wirklich jede freie Minute zur Arbeit am Boot nutzte. „Das ging nur als Junggeselle“, lacht er. Klaus legte los: Zunächst baute er die Rumpfhalbschalen, ebenfalls aus Polyester, und verband sie. „Vom Laminieren des Rumpfs habe ich leider keine Bilder, ich habe alles allein gemacht, es war warm – da musste ich mich beeilen, mir wäre sonst das Harz hart geworden.“ Für den Innenausbau benutzte Klaus Kiefernholz für die Decksbalken und die längsschiffs laufenden Balken, Sperrholz für die tragenden Spanten.
Dann kam das Deck an die Reihe. Es besteht wie die Reling und die verlängerte Bordwand aus Bootsbausperrholz und geht über das ganze Schiff. Über eine Luke steigt man ins Cockpit. Dort befindet sich eine Besonderheit, die es im „großen“ Vorbild nicht gibt: Für die Steuerung ließ Klaus sich vom Segelflugzeugbau inspirieren. Es gibt zwei Pedale, die sich mit den Füßen bedienen lassen, und mittels sogenannter Genuaschienen und Genuaschlitten und einer dem Segelflugbau entlehnten Seilführung können verschieden große Leute auf dem Sitz Platz nehmen, ohne dass die Lage der Steuerungsseile beeinflusst wird.
Lackiert hat Klaus das Boot mit Coelan-Beschichtung, nur ein einziges Mal, und dann mit schwarzer Farbe Stabdeckfugen aufgemalt. Für die Masten probierte er zwei Holzvarianten aus, bevor er die richtige fand: „Zuerst sollten die Masten aus Kiefernholz verleimt werden. Das war aber zu schwer, und so habe ich als jetzige Lösung die Masten aus Fichtenholzbalken ohne den Kern des Baums rund gehobelt.“ Verspannt wurden die Masten mit 2,5 Millimeter starken Drahtseilen.
Eine echte Herausforderung waren die Beschläge im Maßstab 1:4. „Die musste ich natürlich fast alle aus Edelstahl selbst machen. Einige habe ich auch nur vorbereitet und dann von Fachleuten, die ich in einer Werkstatt kannte, schweißen lassen“, sagt Klaus. Nur die Segeltücher im markanten Braunrot-Ton, der an das historisch mit Eichensud gefärbte Leinen auf Arbeitsbooten erinnert, sind aus Dacron und nicht selbst gemacht. Sie stammen von einem Lübecker Segelbauer.
Bevor er die Segel auf seinem Boot aber setzen konnte, musste er noch seine Ballast- und Gewichtungsberechnungen umsetzen und Bleiblöcke im Rumpf platzieren. Für die Blöcke hatte er die Plätze im Rumpf mit einer Trennfolie mit Bauschaum ausgeschäumt und davon Negativformen aus Gips hergestellt. Die Gipsformen füllte er dann mit Blei. Mithilfe von Arbeitskollegen ließ er schließlich seine Mini-Colin-Archer erstmals zu Wasser. Das war 1990. „Anfangs schwamm der Rumpf auf der Seite“, erinnert sich Klaus. Das änderte sich, als er die Gewichte im Kiel platzierte.
Der Tag der Wahrheit. Der Moment, auf den Klaus Jahre hingerechnet, -gespachtelt, -gebaut hatte: Was würde passieren, wenn er in die kleine Jacht steigt? Würden seine Berechnungen tatsächlich belastbar sein? Und seine Jacht auch segelfähig? Die Erleichterung war riesig: Mit einer Person im Boot schwamm es exakt auf seiner vorgesehenen Wasserlinie. Mit Ein-Mann-„Besatzung“ ist es bis heute eine Colin Archer – sehr stabil.
Wie segelt es sich nun mit der Mini-Jacht? „Wie eine große“, sagt der Erbauer stolz. Es gibt keine Kajüte und wenig Platz, aber genügend Beinfreiheit – und bequem ist es für Klaus auch. Beim Segeln sitzt er angelehnt an den leicht geneigt stehenden hinteren Spant auf einem Polster. „Das ist relativ komfortabel“, sagt er, auch bei längeren Fahrten über den Bodensee. Klaus zeigt neben seinen Sitzplatz. Im Fußraum befindet sich eine weitere Idee von ihm: „Da habe ich ein Kunststofffenster, ungefähr doppelt so groß wie eine Postkarte, eingebaut und mit Polyester abgedichtet.“ So kann er beim Segeln auch durch den Rumpf ins Wasser schauen.
Die rund zehn Jahre Gesamtbauzeit – „sicher auch mal mit ,Denkpausen‘ und Reifungsphasen dazwischen“, schmunzelt Klaus – haben sich gelohnt: „Mein Miniaturboot verträgt, wie das Original, jede Menge Wind, und den braucht es ja zum Segeln, wenn es richtig Spaß machen soll“, berichtet Klaus. Wenn es nicht auf dem Bodensee unterwegs ist, steht das kleine Schiff bei ihm zu Hause. „Dass alles so gut funktioniert, ist natürlich schön“, sagt er rückblickend. „Ein bisschen verrückt muss man sein.“ Vielleicht, überlegt er, baut er so ein ähnliches Boot noch mal, dann aber direkt aus Holz, wie das Original …
Maße im Vergleich: Colin Archer vs. Mini-Colin-Archer
Maßstab: 1:4
Länge: 14,25 m – 3,56 m
Breite: 4,84 m – 1,21 m
Tiefgang: 2,3 m – 0,57 m
Verdrängung: 27 t – 421 kg
Ballastanteil: 5 t (19 %) – 160 kg (38 %)
Segelfläche: 122 m’’ – 7.6 m”
Text: Bettina Lüke | Fotos: Klaus Steinlein, Nils Theurer