Der Messer-Punk
Roland Lannier macht Tafelmesser. Das Besondere: die Griffe sind aus Vinylplatten, Beton, Schottenröcken. Die Kunden: Sternerestaurants aus aller Welt.
„Das ist der Clou“, sagt Roland. Nachdem er die Klinge geschliffen hat, zeigt er auf eine Werkbank. Da liegt ein Block Micarta, ein robustes und leichtes Material, bei dem Baumwollstoff und Kunstharz verpresst werden. Das macht für Roland ein Zulieferer. Doch das Design ist, wie immer, Rolands Idee: In dem Material ist das rot-schwarze Tartanmuster eines Schottenrocks verarbeitet – eine Hommage an die Sex Pistols und die britische Punk-Szene. Daraus wird der nächste Griff gefertigt.
Roland sägt aus dem Micarta ein kleineres Stück. Dann hält er es an den Bandschleifer und schleift die Griffschale. Nach wenigen Momenten ist er fertig. Nun beginnt das Polieren und Veredeln. 40 Arbeitsschritte sind für ein Messer nötig. Das dauert Stunden. Roland und sein Mitarbeiter Guillaume können maximal fünf Messer pro Tag herstellen.
Rolands Klingen sind scharf wie ein Skalpell. Sie schneiden durch Fleisch wie durch ein Stück Butter. „Nur mit gutem Besteck macht Essen Spaß“, sagt er. „Ich mache Werkzeuge für Genießer. Meine Messer sind fürs Kochen und Essen da – die schönen Dinge im Leben.“ Jagdmesser, Ramboklingen, überhaupt der maskuline Messerkult? „Das interessiert mich null!“
Roland arbeitet wie ein Schmied vor Hunderten Jahren. Nur dass die Energie heute aus der Steckdose kommt. Nicht mehr vom Fluss Durolle. Dessen Strömung trieb früher die Schleifsteine der Schmieden an.
Das Handwerk ist altertümlich, das Konzept der Klingen aber modern. „Mich inspirieren Popkultur, Filme, Comics und Street-Art – also alles, was mich als Mensch formt“, sagt Roland. Der Punk-Fan will eine alte Tradition mit seinen verrückten Designs und eigenwilligen Ideen verbinden. Genauso wie das viele junge Küchenchefs in aller Welt versuchen. Er ist ein Bruder im Geiste. Etwa von Matt Orlando, dem Chef des Zero-Waste-Restaurants Amass in Kopenhagen. Für das angesagte Lokal, in einem mit Graffiti beschmierten Bau gelegen, entwickelte Roland ein zum Ort passendes Tafelmesser mit einem Griff aus Beton. Inzwischen beliefert Roland 120 Restaurants weltweit.
Roland Lannier
Sind seine Messer eher Kunstobjekte? Roland schüttelt den Kopf: „Mir geht es darum, kreative und herausragende Messer herzustellen. Aber ein Künstler bin ich nicht.“ Er sieht sich als guter Handwerker, dem die Nachhaltigkeit seiner Arbeit wichtig ist. Tierische Materialien, etwa Giraffenknochen, das Horn von Rindern oder Mammutelfenbein kommen ihm nicht in die Werkstatt. Sein Stahl kommt aus Schweden, möglichst umweltschonend ist er hergestellt.
„Der Wert meiner Messer kommt nicht von teuren Materialien, sondern von der Kreativität und der Arbeitszeit, die ich investiere“, sagt Roland. Mehrere Hundert Euro kostet eines seiner Messer. Es sind keine Schnäppchen, aber eben auch keine Massenware. „Meistens sind wir klassischen Handwerker technisch die Besten unseres Fachs. Das muss auch fair entlohnt werden.“ Dass er vielen Gästen, die mit seinen Messern essen, eine unvergessliche Erfahrung beschert, hat er schon oft gehört.
Schmied wollte Roland werden, war als Jugendlicher fasziniert vom Mittelalter, von nordischen Göttern und Sagen, von Amboss und heißem Stahl, wurde später zum Fan von „Game of Thrones“. Die Dame von der Berufsberatung fütterte mit den Informationen ihren Computer und riet ihm zu: Messerschmied. „Das fand ich cool.“ Er ging bei einem lokalen Betrieb in die Lehre, heuerte dann bei der Luxus-Messerschmiede Perceval an. Vor sechs Jahren eröffnete er die eigene Manufaktur. Am Amboss steht er nicht, obwohl er gelernt hat, Stahl zu schmieden. Feinarbeit findet er interessanter.
An der Schleifstation sprühen die Funken. Guillaume poliert den Griff eines Tafelmessers. Kollektion „Unfuck the world“ – nach dem Song der amerikanischen Crossover-Band Prophets of Rage. Im Griff steckt die Ledermaske eines mexikanischen Lucha-Libre-Wrestlers. Hat ein mexikanisches Restaurant bestellt. Muss heute noch verschickt werden. Dann schaltet Guillaume die Maschine aus. Roland schnappt sich sein Klappmesser. Die beiden Messer-Punks wollen zu Tisch. Sie haben Lust auf Entrecôte.
Text: Reinhard Keck Fotos: Sébastien Dubois-Didcock; PR